Inhaltsverzeichnis - Pressblech, genietet - nächstes Kapitel - Impressum
Einführung - Fox, Leeds - Fox, 1893 - Preussen, Prototyp, 1892 - Exkurs Reisezugwagen - Ganz (Budapest), ab 1892 - Krupp, 1902 - Tientsin-Pukow, 1909 - Finnland K5, 1912 - Andere Fox-Drehgestelle -
Österreich, 1906 - Frankreich, 1904 und 1923 - Verbandsbauart, B 24 - preussisch, Ci 149 - Frankreich, Y 13 - Saar
Vorbemerkung:
Zu
diesem preussischen Prototyp eines Güterwagen-Drehgestells liegen
drei Quellen vor, die vor allem dessen Existenz belegen,
darüberhinaus aber kaum konkrete Angaben beinhalten und also nur
eine ungefähre Vorstellung vermitteln.
Dieser Beitrag ist der
mühsame, nicht unproblematische Versuch einer Interpretation der
vorliegenden Quellen, einer Einordung in die zeitgenössischen
eisenbahntechnischen Diskussionen und Entwickelungen, ohne dass die
daraus gezogenen Schlüsse zweifelsfrei belegt werden können und der
letztlich mehr fragen aufwirft als beantwortet.
Skizze
preussisches Versuchs-Drehgestell für Güterwagen, Seitenansicht;
Nachzeichnung G-D auf Grundlage der in Kupplung Nr. 35 [1]
verkleinert nachgedruckten Zeichnung. (Anm. 1)
OOmk
Köln rechtsrh. 59999 mit preussischen
Versuchs-Güterwagen-Drehgestelle; Quelle: [1]
Genietetes
Pressblech-Drehgestell (Anm. 2) mit gefedertem
Drehpfannen-Träger.
Rahmen bestehend aus vier,
fest miteinander vernieteten Pressblech-Bauteilen (zwei
Seitenwangen-Stehbleche, zwei Querträgern), mindestens 8
rechtswindende Schraubenfedern und einem auf diesen Schraubenfedern
gelagerten Drehpfannenträger. Drehgestell gegen Wagenuntergestell
gefedert, Radsätze ungefedert im Drehgestellrahmen gelagert.
Achsstand 1800 mm, keine Hinweise zum Laufkreisdurchmesser, zur
Ausführung der Drehpfanne und den seitlichen Gleitstücken.
Drehgestell A (am Handbremsende des Wagens) einseitig vom innen
gebremst, Drehgestell B ungebremst.
Hintergründe:
1.
Die zwischen 1889 und 1892 im Berliner Verein für Eisenbahnkunde
geführten Diskussion über die Erhöhung der Tragfähigkeit der
Kohlewagen waren noch von deutlicher Skepsis gegenüber vierachsigen
Wagen mit "Trucks" nach amerikanischem Vorbild geprägt.
Im April 1891 kündigte Stambke an, "dass wohl gelegentlich ein
Versuch mit
vierachsigen Güterwagen zu 30 t Ladegewicht gemacht" [4, S. 29]
wird, im August 1892 vermerkt Schwabe: "Versuchsweise ist auch
eine Anzahl offener vierachsiger Wagen mit einer Tragfähigkeit von
30 t beschafft worden" [5, S. 51].
In diesem Zusammenhang [4,
S. 32] hatte auch Van der Zypen und Charlier Entwürfe "zu ...
vierachsigen ... Güterwagen" eingereicht, die in diesem Kreis
allerdings nicht weiter diskutiert wurden.
2. Im
Wagenverzeichnis der KED
Köln rrh. von 1893 [2] sind 110 OOmk 59888 bis 59997 mit 10,1 m
innerer Länge und die beiden OOmk 59998 und 59999 mit 11,3
m innerer Länge
aufgeführt.
3.
Ein Teil der "kurzen" OOmk (nach Musterblatt pr II d 7 1.
Belegung, siehe [3, S. 182]) hatte Diamond-Drehgestelle mit 1800 mm
Achsstand (entsprechend Musterblatt pr VI d 7 1.Aufl.), knapp 100
dieser Wagen waren, umgebaut zu Plattformwagen, 1915 im bestand der
KED Essen [6].
4. Zur selben Zeit hat die K.P.E.V.
gemeinsam mit Krupp ein Pressblech- für Personen- (Durchgangs-)wagen
entwickelt und dieses 1893 auf der Weltausstellung in Chicago
präsentiert.
Vor diesen Hintergründen erscheint
die Entwicklung zunächst relativ plausibel: Die aufstrebende Montan-
und Schwerindustrie in Rheinpreußen hatte zunehmenden Bedarf an
Güterwagen mit erhöhter Tragfähigkeit und vor allem größerer
Ladelänge ("Schienenwagen"), die K.P:E.V. hatte in den
frühen 1890er Jahren gemeinsam mit Krupp die Entwicklung neuartiger
Pressblech-Drehgestelle begonnen, Van der Zypen und Charlier hatte
erste Entwürfe zu vierachsigen Wagen in der Schublade, die KED Köln
rechtsrh. beschaffte dann versuchsweise zunächst zwei "längere"
Kohlewagen mit diesen Drehgestelle-Prototypen und kurz darauf eine
Anzahl kürzerer vierachsiger Kohlewagen mit "preußischen"
Diamond-Drehgestellen (mit Pressblech-Querträgern), die aus diesen
Prototypen abgeleitet waren.
Diese These hat allerdings mehr
als einen Haken:
5. Van der Zypen und Charlier präsentiert 1893
in Chicago keinen vier- sondern je einen zweiachsigen Kohlen- und
Plattformwagen [7, S. 498 f]. Van der Zypen und Charlier hat wohl
erst um 1905 begonnen, Pressblech-Teile für Drehgestelle zu
fertigen.
6. Die Abmessungen der längeren
"Versuchs-Kohlewagen" entsprechen exakt dem Schienenwagen
SSm nach Musterblatt pr II d 6 [14]. Die ersten Wagen mit diesen
Abmessungen wurden ebenfalls 1892 in Dienst gestellt. Aus einer
Skizzensammlung der KED Berlin [8] stammt ein Blatt, das den Vermerk
"Harkort 1892" enthält und einen Wagen mit ähnlichen
Drehgestellen zeigt.
SSm
Berlin, Skizze 362, "Harkort 1892"; Quelle: [8]
6.
Mit "Harkort" könnte könnte die "Gesellschaft
Harkort Duisburg" beziehungsweise die "Aktiengesellschaft
für Eisenindustrie und Brückenbau, vormals Johann Caspar Harkort in
Duisburg" - Gesellschaft Harkort Duisburg" gemeint sein, zu
der ab 1879 eine Wagenbau-Abteilung gehörte, die - wie es in einer
Selbstdarstellung aus dem Jahr 1911 heißt [9, S. 256] auf
"Güterwagen ..., besonders Kohlen- ... und Plattformwagen
(achträdrige) für die Preussischen Staatsbahnen, ferner ... vier-
bis sechsachsige Sonderwagen mit versenkter Ladefläche für schwere
und unhandliche Transportstücke ..." spezialisiert war.
7.
Nach 1872 errichtete die "Aktiengesellschaft
für Eisenindustrie und Brückenbau, vormals Johann Caspar Harkort in
Duisburg"im
Werk II ein Walzwerk mit Puddel- und Schweißöfen [13, S. 15], 1879
wurde ebenfalls im Werk II eine Wagenbauabteilung eingerichtet [9, S.
256], im Lageplan vom 1889 [11] ist außerdem eine Schmiede- und
Pressanlage vermerkt.
Es gibt allerdings keinen Hinweis, dass die
Gesellschaft Harkort konstruktiv an der Entwicklung dieser
Güterwagen-Drehgestellen beteiligt war, in der Schmiede- und
Pressanlagen wurden vor allem Beschlagteile für den Wagenbau
hergestellt [13, S. 21].
Fazit:
Die Entwicklung der
preussischen Versuchs-Drehgestelle für Güterwagen kann zwar in
einen historischen Kontext eingeordnet werden, die Konstruktion kann
bislang jedoch keinem Hersteller oder Konstrukteur eindeutig
zugeordnet werden.
Anmerkungen
Anm.
1:
Die
in der Kupplung Nr. 35 [1] verkleinert abgedruckte Ausgabe des
preussischen Musterblattes II d 7 (1. Belegung) zeigt den Wagen
"59999 Köln rechtsrh - OOmk". Die dort angegebenen
Abmessungen (Länge über Puffer: 12,1 m; Ladelänge: 10,1 m,
Drehzapfenabstand: 7,4 m) entsprechen den OOmk nach einer anderen
Ausgabe des Blattes II d 7 [3, S. 182], nicht jedoch denen der Wagen
Köln rrh. 59998 und 59998 im Wagenverzeichnis der KED Köln rrh. von
1893 [2]. Die in [2] angegebenen Abmessungen (innere Länge 11,3 m,
Rad- bzw. Drehzapfenabstand 8,0 m entsprechen weitgehend den
Schienenwagen nach preussichem Musterblatt II d 6)
Anm. 2:
Die
Vermutung, dass es sich bei den Seitenwangen und den Querträgern um
Pressblech-Bauteile handelt, stützt sich zum einen auf die
Stirnansicht des Wagens, die dort erkennbaren Details des
Drehgestells (z. B. Querträgerbleche, Breite der
Seitenwangen-Stehbleche) und auf die beiden, in der Seitenansicht des
Drehgestells erkennbaren, vertikalen Nietenreihen. (Gegen eine Blech
und Winkel-Konstruktion spricht, dass die Seitenwangen-Stehbleche
nicht durch aufgenietete horizontale Winkel verstärkt sind, gegen
eine Blechwangen-Konstruktion - ähnlich den
böhmisch/mährisch/österreichischen Drehgestellen von etwa 1884 -
spricht die in der Stirnansicht erkennbare Breite der
Seitenwangen-Stehbleche. Auch eine gegossene Ausführung kann auf
Grund der Nieten ausgeschlossen werden.)
Quellen:
[1]
Kupplung - Rundschreiben für Wagenfreunde, Nr. 35; Slg. Paul
Scheller.
Bedauerlicherweise war hierfür verwendete Druckvorlage
im Archiv der FVG im Jahr 2018 nicht auffindbar.
[2] Verein
deutscher Eisenbahn-Verwaltungen: Verzeichnis der Güterwagen-Parkes
der Königl. Eisenbahndirektion (rechtsrheinisch) zu Köln. Nr. 41.
Berlin, 1893 (Slg. Paul Scheller)
[3] Carstens,
Stefan; Diener, Hans Ulrich: Güterwagen Band 3: Offene Wagen, S.
Carstens, Hasloh, Flashorn
13 A, 1996
[4] Verein
für Eisenbahnkunde, Bericht von der Versammlung am 14. April 1891,
in: Glasers Annalen, Bd. 28, Heft 336 vom 15. Juni 1891, S. 245 bis
247
[5] Schwabe,
(Ernst Hermann), Geheimer Regierungsrat a. D.: Über die Erhöhung
der Tragfähigkeit der Güterwagen. (in: Glasers Annalen, Bd. 31,
Heft 363 vom 1. August 1892, S. 51bis 53);
Online:
http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/64887/1/0/ <abgerufen
23. 12. 2017>
[6]
Scheller, Paul: Persönliche Informationen (2014 - 11 - 15)
[7]
Dredge,
James: A Record of the Transportation Exhibits at the World's
Columbinan Exhibition of 1893. London <Offices of "Engineering">
and New York <John Wilex & Sons>, 1894)
Online:
https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=uiug.30112057556505;view=1up;seq=13
<abgerufen 14. 02. 2018>
[8]
Güterwagenskizzen der KED Berlin, Slg. Hinze/Thiedemann/Scheller
[9]
Hoff et al.: Das
deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart. Band 2; Berlin, Verlag Reimar
Hobbing, 1911 (Online-version:
http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/48-A-1087-2;
http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/48-A-1087-2/0269?sid=bf8dc32a09b4881738b820cb7cfe3a54)
- <abgerufen am 23. 10. 2017>
[10]
https://de.wikipedia.org/wiki/Harkort%E2%80%99sche_Fabrik -
<abgerufen am 17. 02. 2018>
[11]
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:LageplanHarkortDuisburg.jpg
- <abgerufen am 17. 02. 2018>
[12]
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Harkort%E2%80%99sche_Fabrik&action=history
- <abgerufen am 17. 02. 2018>
[13
] Harkort (GHD, Hrsg.): Gesellschaft Harkort Duisburg 1872 - 1922. 75
Jahre Deutscher Brückenbau. Herausgegeben von der Gesellschaft
Harkort Duisburg aus Anlass ihres 50jährigen Bestehens. Duisburg
1922
[14]
Carstens, Stefan; Scheller, Paul: Güterwagen Band 8:
Drehgestell-Flachwagen. Fürstenfeldbruck, 2016