Inhaltsverzeichnis - Pressblech, genietet - nächstes Kapitel - Impressum
Einführung - Fox, Leeds - Fox, 1893 - Preussen, Prototyp, 1892 - Exkurs Reisezugwagen - Ganz (Budapest), ab 1892 - Krupp, 1902 - Tientsin-Pukow, 1909 - Finnland K5, 1912 - Andere Fox-Drehgestelle
- Österreich, 1906 - Frankreich, 1904 und 1923 - Verbandsbauart, B 24 - preussisch, Ci 149 - Frankreich, Y 13 - Saar Zur Entwicklung der Pressblechtechnik - Zur Konzeption des Kapitels
Als
Pressblech-Drehgestelle werden Drehgestelle bezeichnet, deren
wesentliche Rahmenbauteile (Seitenwangen, Querträger usw.) aus
gepressten Stahlblechen gefertigt sind.
Bei
der Pressblechtechnik werden mit hydraulischen Pressen Bleche
verformt, gesickt und an den Ränder gekantet. Durch die
eingepressten Sicken und Kanten werden die Bleche versteift, so dass
Gewicht und Material eingespart wird, weil auf eine Verstärkung der
Bleche durch aufgenietete Winkeleisen verzichtet werden kann. Darüber
hinaus entfällt das Bohren der Löcher (für die Nieten) und das
Vernieten der Winkeleisen. So
werden deutlich weniger Bauteile als bei Blech und Winkel- und
Diamond-Drehgestellen benötigt und Gewicht, Arbeitszeit und Kosten
spart.
Neben entsprechend leistungsfähigen hydraulischen
Pressen wird allerdings für jedes Press-Bauteil (z. B. Seitenwange)
ein spezifischer Formensatz (Matrize/Patrize, "male and female
dies") benötigt wird. Die Pressblech-Technik ist daher nur
wirtschaftlich darstellbar, wenn mit den Werkzeugen große Serien
gefertigt werden können. [1]
Zur Entwicklung der
Pressblechtechnik
1861 [2, S. 249] hatte John Haswell (geb.
1812 in Glasgow, ab 1840 Direktor der Lokomotivfabrik der StEG
<Österreichisch-ungarische Staatseisenbahn-Gesellschaft>)
hydraulische Schmiedepressen entwickelt, mit deren Gesenken
Maschinenteile aus Metall geformt werden konnten [3], [4, S. 413 ff].
Abbildung siehe: Wikimedia: Lokomotivfabrik der StEG; (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StEG-Frabrik_Presse.jpg)
Ende
der 1860er Jahre begann Krupp "Teile größerer Gegenstände für
die verschiedensten Verwendungszwecke aus Blech zu pressen" [5,
S. 1215], ab 1877 stellte Fox in Leeds Wellrohr-Feuerbüchsen her.
Die dabei gewonnenen Erfahrungen übertrug Fox ab Mitte der 1880er
Jahre zunächst auf die Fertigung von Teilen für
Eisenbahn-Laufwerken, wenig später entwickelte er aus gepressten
Blechen zusammengesetzten Drehgestelle [6, S. 469], die er sich ab
1888 patentieren ließ.
Davon unabhängig begann um 1892 auch
die preussische Staats-Eisenbahn-Verwaltung (K.P.E.V.) mit der
Entwicklung von Pressblech-Drehgestelle. Dabei handelte es sich zum
einen um ein zweiachsiges
Drehgestell für D-Zug-Wagen, zum
anderen um Prototypen eines Güterwagen-Drehgestells aus dem das mit
Pressblech-Querträgern verstärkte Diamond-Drehgestell nach
Musterblatt pr VId7 hervorgegangen ist.
Ein komplettes Exemplar des Reisezugwagen-Drehgestells sowie entsprechende, bei Krupp gepresste einzelne Bauteile präsentierten die K.P.E.V. und Krupp 1893 auf der Weltausstellung in Chicago.
Pressblech
Drehgestell für Personenwagen, präsentiert in der Ausstellung von
Friedrich Krupp auf der Weltausstellung 1893 in Chicago; Quelle: [7,
S. 9 und 10, Collage G-D]
Etwa
zeitgleich begann Preußen, für die Aufbauten offener Güterwagen
(nach Musterblättern IIc5, IId1, IId3 und IId7/1. Bel.)
Pressblech-Teilen (Türen, gebuckelte Seitenwand-Bleche) zu
verwenden.
Zu dieser Zeit verfügte Krupp über eine von Tannet &
Walker, Leeds, gebaute 5000 t-Presse [8, S. 904, 908]; Dingler 1895,
S. 251], vom selben Hersteller sind 2000 t-Pressen für die Société
Cockerill im belgischen Seraing und die im damals zu Österreich
gehörenden Mähren gelegenen Witkowitzer Eisenwerke belegt [2, S.
251].
Witkowitzer
Eisenwerke, Pressblechteile; Quelle: schlot.at
– Industrie-Dokumentation [9]
Die
Maschinenbau-Actien-Gesellschaft Nürnberg verfügte ab 1895 in Mainz
Gustavsburg über ein Presswerk, das insbesondere für
Straßenbahn-Unter- und Drehgestelle "alle ... erforderlichen
Pressteile und Träger" (zunächst bis 1,8 m, ab 1906 bis 3,2 m
Achsstand) baute [10, S. 435]. Ob das Werk Gustavsburg auch Teile für
die nach Vorgaben der Internationalen Schlafwagen-Gesellschaft
(ISG/CIWL) ab 1896 zweiachsigen, ab 1906 auch dreiachsigen
Pressblech-Drehgestelle [10, S. 110 ff] geliefert hat, ist nicht
belegt. Eigene vier- und dreiachsige Entwicklungen für normalspurige
Personenwagen, wie etwa für die LAG-Triebwagen 501 ff und 772, für
Mess- und Salonwagen, entstanden noch in die 1930er Jahre in
Fachwerk- [10, S. 17, 38, 81, 87, 335, 337, 341, 355] oder Blech und
Winkel-Bauweise [10, S.362 ff].
Für Ungarn sind
Pressblech-Drehgestelle ab 1896 nachgewiesen: Zweiachsige
Güterwagen-Drehgestelle (Achsstand 1,575 m) unter von Ganz,
Budapest, gebauten vierachsigen gedeckten Wagen [11, S. 132. 135],
zweiachsige Reisezugwagen-Drehgestelle (Achsstand 2,5 m; 3,7 m) unter
von Ganz und Weitzer (Arad) gebauten D-Zugwagen [11, S. 92, 94 f]
sowie dreiachsige - für die von Ganz gebauten Wagen des ungarischen
Hofzuges [11, S. 98 ff]. Insbesondere die dreiachsigen
Pressblech-Drehgestelle sprechen dafür, dass ab 1896 in Ungarn
entsprechende Pressblechteile gefertigt werden konnten, wobei bislang
nicht geklärt werden konnte, wem die dafür erforderlichen
Einrichtungen zuzuordnen sind.
Wohl in den 1890er Jahren hat
auch die sächsische "Aktiengesellschaft für Fabrikation von
Eisenbahn-Material zu Goerlitz" hat wohl Pressblech-Drehgestelle
gebaut. Da in der Beschreibung der Werkstatt für Eisengestellbau aus
dem Jahr 1903 [12, S. 15] keine hydraulischen Pressen aufgeführt
sind, wurden die dafür benötigten Pressblechbauteile vermutlich
zugeliefert.
Schuppen
für Eisengestellbau, Aktiengesellschaft für Fabrikation von
Eisenbahn-Material zu Goerlitz, Bau von Reisezugwagen-Drehgestellen
der Regelbauart aus Pressblech-Teilen; Quelle [12, Abb. A. 19]
Im nordfranzösischen Douai richtete Pierre Arbel die von ihm 1890 gegründete Schmiede ab 1896 auf das Stanzen und Pressen von Blechen aus und ließ 1900 eine Presse mit 3.000 Tonnen installieren. 1901 erwarb Arbel die Lizenz auf das "Fox"-Verfahren für die Herstellung von Wagenbauteilen und leitete damit die Entwicklung des Unternehmens zum Hersteller von (Pressblech-) Güterwaggons ein [13].
"Wagon
Arbel", Pressblech-Selbstentladewagen für Kohle "Mines
de Carmaux",
Ladegewicht 50 t, mit Drehgestellen der Bauart Fox, Arbel
19041 [14, S. 785, Werkfoto Arbel; 17]
1904 entwickelte die
Vereinigte Königs- und Laurahütte im Auftrag der Preußischen
Staatsbahn einen zweiachsigen offenen Güterwagen (nach Musterblatt
Cc7), dessen Untergestell und Wagenkasten vollständig aus
Pressblechteilen hergestellt war. Die Königshütte verfügte über
ein "Presswerk für Pressteile zu Waggons, Lokomotiven,
Automobilen und Grubenwagen, fertig zum Einbau" und besaß
"Musterschutz auf sämtliche Pressteile für diese Wagen"
[15, S. 390 ff].
Die Siegener Eisenbahnbedarf AG ging aus den
1899 gegründeten "Stanz- und Hammerwerken Karl Weiß"
hervor in denen um 1910 "mit modernen Dampf- und Fallhämmern
Beschlagteile für Eisenbahnwagen und Lokomotiven" sowie
"gestanzte und gepresste Massenartikel" [15, S. 282]
produziert wurden.
Van der Zypen &
Charlier verfügte um 1910 über ein Presswerk mit mehr als 12
hydraulischen Pressen, die mit 150 und 300 Atmosphären Druck
arbeiteten [15, S. 203]. In
einem etwa 1921 veröffentlichten Katalog [16, S. 4] heißt es: "Alle
Teile zu den Eisenbahnwagen - mit Ausnahme der Radsätze - werden in
der Fabrik selbst hergestellt. Hierzu gehören auch die Pressbleche
und Pressblechrahmen für Drehgestelle und Untergestelle, deren
Herstellung bereits vor 10 Jahren aufgenommen und in der letzten Zeit
ganz bedeutend erweitert und vervollkommnet wurde. Über 20
hydraulische Pressen sind in Tätigkeit, um Bleche bis 20 mm Stärke
in die verschiedensten Formen zu pressen. Die Gesenke und Pressformen
hierzu werden sämtlich in der eigenen Gießerei des Werkes
angefertigt, so dass auch neue Formen in kürzester Zeit hergestellt
werden können."
Ende der
1920er Jahre wurde aus "Van der Zypen & Charlier" das
Werk Deutz der Vereinigten
Westdeutsche Waggonfabriken AG, in der zweiten Hälfte der 1930er
Jahre war das Deutzer Werk maßgeblich in die Entwicklung von
Leichtbau-Kesselwagen, Wannentendern und geschweißte
Pressblech-Drehgestelle eingebunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg
entwickelte das BZA Minden in Zusammenarbeit mit dem Deutzer Werk das
Minden Deutz-Drehgestell für Reisezugwagen.
1959, nach der
Übernahme der "Westwaggon" durch Klöckner Humboldt Deutz
wurde in Deutz der Schienenfahrzeugbau eingestellt, die
Drehgestell-Kompetenzen an die "Siegener Eisenbahnbedarf AG
(SEAG)"/"Rheinstahl" übertragen.
Zur
Konzeption dieses Kapitels
Während
in Amerika die aus Pressblechteilen aufgebaute
Güterwagen-Drehgestelle nur kurz und als "Übergangsform"
in Erscheinung traten, hieltem europäische Bahnverwaltungen und
Konstrukteure lange Zeit an der Pressblechtechnologie fest und
entwickelten insbesondere Pressblech-Drehgestelle mit Blattfedern
weiter.
Da den von Samson Fox entwickelten
Pressblech-Drehgestellen mit schraubengefederten Radsätzen eine
besondere Bedeutung bei der Weiterentwicklung der
Diamond-Drehgestelle zukommt, habe ich die damit in Zusammenhang
stehenden Entwicklungen auf den folgenden Seiten unter der Rubrik
"Pressblech, genietet - Fox" zusammengefasst.
Quellen:
[1]
Ossig, Rudolf: Persönliche
Informationen und Unterlagen; ihm verdanke ich eine erste profunde
Einführung in die Thematik "Formgebungsverfahren", die auf
dieser Internetseite bis 2018 unter "Sonstiges - Konstruktion:
Formgebungsverfahren" zu lesen war.
[2]
NN: Neuere Schmiedepressen (in: Dinglers Polytechnisches Journal,
1895. 76. Jahrg. Bd. 297, Heft 11, S. 249 - 254);
Online:
http://dingler.culture.hu-berlin.de/article/pj297/ar297061 <abgerufen
06. 01 2018>
[3] Wikipedia: Lokomotivfabrik der StEG
Online:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lokomotivfabrik_der_StEG - <abgerufen
08. 02 2018>
[4] NN: Hydraulische Presse zum Schnellschmieden.
(in: Dinglers Polytechnisches Journal, 1863. Bd. 169, 5. Heft, S. 413
- 415 mit Abbildungen auf Tafel VI)
Online:
http://dingler.culture.hu-berlin.de/article/pj169/ar169109 <abgerufen
25. 01 2018>
[5] Buhle: Das Eisenbahn- und Verkehrswesen auf
der Industrie- und Gewerbeschau in Düsseldorf (in: Zs. des Vereins
dt. Ingenieure, Band 46, Heft 33 v. 16. August 1902, Slg. Bengt
Dahlberg)
[6] White,
John H. jr.: The American Railroad Freight Car. From the Wood Car Era
to the Comming of Steel. John Hopkins University Press. Baltimore,
1993
[7] Verein
deutscher Maschinen-Ingenieure, Versammlung vom 28. März 1893,
Vortrag Civil-Ingenieur G. Lentz: Die Ausstellung von Fried. Krupp in
Essen (Rheinpreußen) auf der Chicagoer Weltausstellung 1893 (in:
Glasers Annalen, Bd. 33, Heft 385, S. 8 ff.)
Online:
http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/64887/1/0/ <abgerufen
23. 12. 2017>
[8]
Tweddell, Ralph Hart: Schmieden mittels dydraulischen Drucks. (in:
Stahl und Eisen. Zeitschrift für das deutsche Eisenhüttenwesen. 14.
Jahrg., 1894, Heft 20, S. 900 - 908)
Online:
http://delibra.bg.polsl.pl/dlibra/aresults?action=SearchAction&QI=21C8CC15A8C15CC67DE8F807B902CA5A-25
- <abgerufen 08.02.2018>
[9] Witkowitzer Bergbau- und
Eisenhütten-Gewerkschaft (Vítkovické železárny): Katalog. (ca.
1903)
Online:
https://schlotforum.wordpress.com/2010/12/04/cz-ostrava-vitkovice-witkowitzer-bergbau-und-eisenhutten-gewerkschaft-gussstahlfabrik-1903/
- <(schlot.at – Industrie-Dokumentation, abgerufen 08. 12.
2017>
[10] Uebel, Lutz; Richter, Wlfgang D. (Hrsg.): 150 Jahre
Schienenfahrzeuge aus Nürnberg. Freiburg 1994
[11] Szécsey
István, Villány, György: Ganz - Vasúti jáművek 1868 - 1919
Railway Vehicles 1868 - 1919. Budapest 2015
[12]
Aktien-Gesellschaft für Fabrikation von Eisenbahn-Material zu
Goerlitz: (Festschrift und Katalog.) Herausgegeben zum 12. Juli 1903
aus Anlass des 100jährigen Geburtstages des Begründers der
Waggonfabrik zu Goerlitz Johann Christoph Lüders und des 50jährigen
Bestehens der Fabrik auf ihrem heutigen Gelände (= Nachdruck Freunde
der Eisenbahn Hamburg. Ahrensburg, 2015,
http://www.fde-hamburg.de/veroeffentlichungen/)
[13] Callite,
Anne: Une entreprise en territoire occupé: Arbel à Douai
(1914-1919). (= Revue d’histoire des chemins de fer. Livraison
35/2006 : Les chemins de fer. De l’histoire diplomatique à
l’histoire de l’art.
Online:
http://journals.openedition.org/rhcf/511
- <abgerufen 08. 02. 2018>
[14]
Henry, M. A.: De l'Influence des Wagons de grande Capacité sur les
Crises de Transport. (dans: Bulletin
de la Societe d' Encouragement pour l' Industrie Nationale, 110e
Année. Premier Semestre, Juin 1911, p. 773 - 805).
Online:
http://cnum.cnam.fr/CGI/fpage.cgi?BSPI.116/769/100/906/0/0 -
<abgerufen 08. 02. 2018>
[15] Hoff et al.:
Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart. Band 2; Berlin, Verlag
Reimar Hobbing, 1911 Online:
http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/48-A-1087-2 -
<abgerufen 08. 02. 2018>
[16] Van der
Zypen & Charlier: Katalog der Abteilung für Kesselwagen,
Topfwagen und Spezialwagen (ca. 1920, = Nachdruck 2015 aus dem
Norddeutschen Nah- und Schienenverkehrs-Archiv in Ahrensburg/Freunde
der Eisenbahn)