Güterwagen-Drehgestelle: Sonstiges - Durchdrehbare Drehgestelle

Version 1.0*.83.1, Stand 29. Februar 2008

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Auf Grund beengter räumlicher Gegebenheiten konnten früher viele Gleisanschlüsse nicht direkt sondern nur über eine Waggon-Drehscheibe bedient werden. Diese Waggon-Drehscheiben dienten nicht zum Drehen der Waggons, sondern ersparten die Anlage eines Gleisbogens. Der Durchmesser dieser Drehscheiben entsprach dem Achsstand zweiachsiger Wagen.

Prinzipiell wurde bei Zustellung eines Wagens dieser auf die Drehscheibe geschoben, die Drehscheibe entsprechend des Winkels des Gleisanschlusses gedreht und der Wagen per Spillanlage (bei manchen Betrieben wohl auch mit Pferdegespannen) auf das Anschlussgleis und an seinen Bestimmungsort gezogen. Allein in Hameln sind mir drei solcher Drehscheiben bekannt, die bis in die 1960er Jahre benutzt wurden.

Um solche Gleisanschlüsse auch mit Drehgestellwagen bedienen zu können, mussten die Drehgestelle durchdrehbar sein. Wie häufig so ein Zustellvorgang früher in der Praxis vorkam, entzieht sich meiner Kenntnis. Fakt ist, dass bei allen bis etwa 1943 gebauten Drehgestell-Flachwagen die Durchdrehbarkeit der Drehgestelle gegeben war. Ich vermute, dass es sich dabei um eine grundsätzliche Konstruktionsvorgabe handelte, die eine freizügige Verwendung der Wagen gewährleisten sollte.

Damit die Drehgestelle unter dem Wagenuntergestell durchgedreht werden können, muss das Wagenuntergestell über einen Drehkranz verfügen und bei gebremsten Wagen (bzw. handgebremsten Drehgestellen) das Bremsgestänge getrennt werden können. (Außerdem dürfen Bauteile des Wagenuntergestell wie Sprengwerk oder Langträger nicht in den Drehbereich ragen.)
 
 
  Drehkranz (am Wagenuntergestell), seitliche Gleitstücke (am Drehgestell)

  DB Rkmp 653 384 6 374 (ex 911 062, SS 15 = Verbands-Schienenwagen nach Musterblatt A 3, 2. Ausf.)
  Drehgestelle: Pressblech, genietet, nach Zeichnung Ci 149; Klein Mahner, 31. 12. 2007, Foto: H. Jahn


 
  Bremsgestänge, getrennt

  DB Rkmp 653 384 6 374 (ex 911 062, SS 15 = Verbands-Schienenwagen nach Musterblatt A 3, 2. Ausf.)
  Drehgestelle: Pressblech, genietet, nach Zeichnung Ci 149; Klein Mahner, 31. 12. 2007, Foto: H. Jahn 


 
  Untergestell des geschweißten SSmla 44-Wagens mit Drehkränzen und 14 Rungen
  beachte: Lage der Spillösen

  Quelle: Deutsche Bundesbahn, Arbeitsgemeinschaft für Ausbildungshilfsmittel: Wagenkunde (= Eisenbahn-
  Lehrbücherei der Deutschen Bundesbahn, Heft 170). Starnberg 1954, S. 363

Der Zustellvorgang eines Drehgestellwagens über einen Waggon-Drehscheibe muss dann prinzipiell lief wie folgt abgelaufen sein:
1. Bremsgestänge wird an beiden Drehgestellen getrennt.
2. Wagen wird mit Drehgestell 1 auf die Waggon-Drehscheibe gezogen.
3. Drehscheibe wird gedreht, dabei dreht sich Drehgestell 1 unter dem Wagenuntergestell durch.
4. Wagen wird mit Drehgestell 1 von der Drehscheibe auf das Zielgleis gezogen. Dabei dreht sich Drehgestell 2 unter dem Wagenuntergestell durch, gleichzeitig rollt dieses Drehgestell näher an die Drehscheibengrube heran. Das Wagenuntergestell "hängt" quer zu beiden Gleisachsen.
5. Drehscheibe wird in Ausgangsstellung zurückgedreht.
6. Wagen wird mit Drehgestell 2 auf die Drehscheibe gezogen. Dabei dreht sich Drehgestell 1 unter dem Wagenuntergestell in Ausgangsposition zurück.
7. Drehscheibe wird gedreht, dabei dreht sich Drehgestell 2 unter dem Wagenuntergestell in Ausgangsposition zurück .
8. Wagen wird mit Drehgestell 2 von der Drehscheibe auf das Zielgleis gezogen.

Erfreulicherweise gibt es eine Bilderserie, die so einen Vorgang veranschaulicht. Bernd Bastisch hat diese Aufnahmen im Archiv der Firma Balcke-Dürr ausgegraben und zunächst im Forum "Historische Bahn" von "Drehscheibe online (http://www.drehscheibe-online.de/, http://drehscheibe-online.ist-im-web.de/forum/read.php?17,3523705, http://drehscheibe-online.ist-im-web.de/forum/read.php?17,3637372) veröffentlicht. Für die Erlaubnis, diese Aufnahmen auch auf dieser Seite nutzen zu dürfen, danke ich ihm vielmals.
 
  DR (Brit-Us Zone) Köln 13 582 SSla

  Ratingen, März 1951, Foto: Archiv Balcke-Dürr GmbH/Sammlung Bernd Bastisch

Offensichtlich ging es hier darum, einen beladenen vierachsigen Schienenwagen (Bauart SSlma 44, mit 14 Rungen und durchdrehbaren Drehgestellen) auf dem schräg in Bildmitte verlaufenden Gleis für den Ausgang (1) bereit zu stellen (beachte Verlauf des Schattenwurfes).
Der Wagen muss also auf dem (von rechts) dritten, von der Drehscheibe abgehenden Gleis beladen worden sein.
Mittels der Spillanlage (2 = Maschinenhaus) wurde der Wagen mit seinem vorderen Teil und unter Umlenkung des Spillseiles über die mittlere Spillrolle (3) auf die Drehscheibe gezogen.
Dann muss die Drehscheibe um rund 270 (!) Grad nach links geschwenkt worden sein: Sichtbar ist die zur Pufferseite weisende Kopfquerträger, an der es keine Aufnahme für das ausgehängte Bremsgestänge gibt. Danach konnte das Spillseil zum Abziehen des Wagens (4) bereit gelegt werden.
Fünf Mann sind mit der Aktion befasst. Der Herr im hellen Mantel könnte so etwas wie der Versandleiter gewesen sein. Vor seinem Maschinenhaus steht der Maschinist der Spillanlage, auf der Drehscheibe der Drehscheibenwärter. Der Standort der beiden anderen Männer legt Mutmaßungen über deren Funktion nahe: der Herr rechts vom Wagen war für das Einhängen des Spillseils zuständig, der Herr links vom Wagen für die Führung und das Umlegen des Spillseiles.
 
  DR (Brit-Us Zone) Köln 13 582 SSla

  Ratingen, März 1951, Foto: Archiv Balcke-Dürr GmbH/Sammlung Bernd Bastisch

Vermutlich wurde das Spillseil an der vorderen rechten Spillöse eingehängt und der Wagen auf diese Weise bis zum Todpunkt vor das Maschinenhaus der Spillanlage gezogen. Nachdem auf diese Weise die Drehscheibe wieder geräumt war, schwenkte diese um rund 90 Grad zurück. Das Spillseil wurde wieder auf die mittelere Umlenkrolle umgelegt um an der hinteren rechten Spillöse eingehängt zu werden.
 
  DR (Brit-Us Zone) Köln 13 582 SSla

  Ratingen, März 1951, Foto: Archiv Balcke-Dürr GmbH/Sammlung Bernd Bastisch

Geschafft - fast! Noch sind die Sicherungsketten der Drehgestelle (5) nicht eingehängt und der Wagen muss noch von der Bühne abgezogen und zur Abholung bereit gestellt werden. Wenn es da nicht noch eine weitere, außerhalb des rechten Bildrandes gelegene Umlenkrolle gegeben hat, dürfte das für den Spillseil-Umleger mit reichlich Laufarbeit verbunden gewesen sein. Beachtenswert scheinen mir darüberhinaus zwei Details: Der Herr rechts im Bild scheint einen Hemmschuh (6) in der Hand zu halten und macht damit darauf aufmerksam, dass bei so einem Vorgang nicht nur das Spillseil umzulegen war, sondern auch mit Hemmschuhen gearbeitet werden musste. Offensichtlich war die Umlenkrolle am linken Rand der Drehscheibe (7) abnehmbar ausgeführt um bei so einem Vorgang nicht dem Wagenuntergestell im Weg zu sein.

Die Aufnahmen 1 und 2 entstanden bei voller Sonne und weisen dementsprechend deutlichen Schattenwürfe auf. Aus der Veränderung des Schattenwinkels (in den Bildausschnitten nur bedingt erkennbar) lässt sich die Dauer dieses Vorgangs berechnen. Zwischen der ersten und der dritten Aufnahme können demnach wenig mehr als 5 bis 8 Minuten vergangen sein ...

Die ersten Flachwagen, bei denen auf die Durchdrehbarkeit der Drehgestelle verzichtet wurde, dürften die vierachsigen Panzertransportwagen SSy(s) Köln gewesen sein. Dabei hatte die erste, 1941 als SSkra gelieferte Serie noch durchdrehbare Drehgestelle, der Außenlangträger war fischbauchförmig gestaltet mit Rahmenausschnitten über den Drehgestellen (siehe Abbildung im Güterwagen Archiv I, S. 214 unten.

Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass sich die vorstehende Darstellung auf preussische und deutsche Gegebenheiten bezieht. Dass es auch andere Konzepte durchdrehbarer Drehgestelle gegeben hat und dass diese auch noch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt wurden, belegt das Schweizer Drehgestell SBB 2-46:
 
 
Achshalterloses, durchdrehbares Drehgestell mit schraubengefederten Radsätzen SBB 2-46; Foto: Hugo Kagerbauer    Achshalterloses, schraubengefedertes 
   Drehgestell SBB 2-46,
   Achsstand 1 800 mm

   Foto: Hugo Kagerbauer

Man bemerke in diesem Zusammenhang den mittig angeordneten Hydraulikzylinder und den auf der linken Rahmenseite gelagerten Pumphebel. Mit dieser Hydraulikpumpe konnte über im Hauptquerträger eingebaute Hubvorrichtungen das Wagenuntergestell um bis zu 230 mm angehoben und damit das Drehgestell unter dem Untergestell durchgedreht werden.

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