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Auf Grund beengter räumlicher Gegebenheiten konnten früher viele Gleisanschlüsse nicht direkt sondern nur über eine Waggon-Drehscheibe bedient werden. Diese Waggon-Drehscheiben dienten nicht zum Drehen der Waggons, sondern ersparten die Anlage eines Gleisbogens. Der Durchmesser dieser Drehscheiben entsprach dem Achsstand zweiachsiger Wagen.
Prinzipiell wurde bei Zustellung eines Wagens dieser auf die Drehscheibe geschoben, die Drehscheibe entsprechend des Winkels des Gleisanschlusses gedreht und der Wagen per Spillanlage (bei manchen Betrieben wohl auch mit Pferdegespannen) auf das Anschlussgleis und an seinen Bestimmungsort gezogen. Allein in Hameln sind mir drei solcher Drehscheiben bekannt, die bis in die 1960er Jahre benutzt wurden.
Um solche Gleisanschlüsse auch mit Drehgestellwagen bedienen zu können, mussten die Drehgestelle durchdrehbar sein. Wie häufig so ein Zustellvorgang früher in der Praxis vorkam, entzieht sich meiner Kenntnis. Fakt ist, dass bei allen bis etwa 1943 gebauten Drehgestell-Flachwagen die Durchdrehbarkeit der Drehgestelle gegeben war. Ich vermute, dass es sich dabei um eine grundsätzliche Konstruktionsvorgabe handelte, die eine freizügige Verwendung der Wagen gewährleisten sollte.
Damit die Drehgestelle unter
dem Wagenuntergestell durchgedreht werden können, muss das Wagenuntergestell
über einen Drehkranz verfügen und bei gebremsten Wagen (bzw.
handgebremsten Drehgestellen) das Bremsgestänge getrennt werden können.
(Außerdem dürfen Bauteile des Wagenuntergestell wie Sprengwerk
oder Langträger nicht in den Drehbereich ragen.)
Drehkranz (am Wagenuntergestell),
seitliche Gleitstücke (am Drehgestell)
DB Rkmp 653 384 6
374 (ex 911 062, SS 15 = Verbands-Schienenwagen nach Musterblatt A 3, 2.
Ausf.)
|
Bremsgestänge,
getrennt
DB Rkmp 653 384 6
374 (ex 911 062, SS 15 = Verbands-Schienenwagen nach Musterblatt A 3, 2.
Ausf.)
|
Untergestell des
geschweißten SSmla 44-Wagens mit Drehkränzen und 14 Rungen
beachte: Lage der Spillösen Quelle: Deutsche Bundesbahn,
Arbeitsgemeinschaft für Ausbildungshilfsmittel: Wagenkunde (= Eisenbahn-
|
Der Zustellvorgang eines
Drehgestellwagens über einen Waggon-Drehscheibe muss dann prinzipiell
lief wie folgt abgelaufen sein:
1. Bremsgestänge wird
an beiden Drehgestellen getrennt.
2. Wagen wird mit Drehgestell
1 auf die Waggon-Drehscheibe gezogen.
3. Drehscheibe wird gedreht,
dabei dreht sich Drehgestell 1 unter dem Wagenuntergestell durch.
4. Wagen wird mit Drehgestell
1 von der Drehscheibe auf das Zielgleis gezogen. Dabei dreht sich Drehgestell
2 unter dem Wagenuntergestell durch, gleichzeitig rollt dieses Drehgestell
näher an die Drehscheibengrube heran. Das Wagenuntergestell "hängt"
quer zu beiden Gleisachsen.
5. Drehscheibe wird in Ausgangsstellung
zurückgedreht.
6. Wagen wird mit Drehgestell
2 auf die Drehscheibe gezogen. Dabei dreht sich Drehgestell 1 unter dem
Wagenuntergestell in Ausgangsposition zurück.
7. Drehscheibe wird gedreht,
dabei dreht sich Drehgestell 2 unter dem Wagenuntergestell in Ausgangsposition
zurück .
8. Wagen wird mit Drehgestell
2 von der Drehscheibe auf das Zielgleis gezogen.
Erfreulicherweise gibt es
eine Bilderserie, die so einen Vorgang veranschaulicht. Bernd Bastisch
hat diese Aufnahmen im Archiv der Firma Balcke-Dürr ausgegraben und
zunächst im Forum "Historische Bahn" von "Drehscheibe online (http://www.drehscheibe-online.de/,
http://drehscheibe-online.ist-im-web.de/forum/read.php?17,3523705, http://drehscheibe-online.ist-im-web.de/forum/read.php?17,3637372)
veröffentlicht. Für die Erlaubnis, diese Aufnahmen auch auf dieser
Seite nutzen zu dürfen, danke ich ihm vielmals.
DR (Brit-Us Zone)
Köln 13 582 SSla
Ratingen, März 1951, Foto: Archiv Balcke-Dürr GmbH/Sammlung Bernd Bastisch |
Offensichtlich ging es hier
darum, einen beladenen vierachsigen Schienenwagen (Bauart SSlma 44, mit
14 Rungen und durchdrehbaren Drehgestellen) auf dem schräg in Bildmitte
verlaufenden Gleis für den Ausgang (1) bereit zu stellen (beachte
Verlauf des Schattenwurfes).
Der Wagen muss also auf
dem (von rechts) dritten, von der Drehscheibe abgehenden Gleis beladen
worden sein.
Mittels der Spillanlage
(2 = Maschinenhaus) wurde der Wagen mit seinem vorderen Teil und unter
Umlenkung des Spillseiles über die mittlere Spillrolle (3) auf die
Drehscheibe gezogen.
Dann muss die Drehscheibe
um rund 270 (!) Grad nach links geschwenkt worden sein: Sichtbar ist die
zur Pufferseite weisende Kopfquerträger, an der es keine Aufnahme
für das ausgehängte Bremsgestänge gibt. Danach konnte das
Spillseil zum Abziehen des Wagens (4) bereit gelegt werden.
Fünf Mann sind mit
der Aktion befasst. Der Herr im hellen Mantel könnte so etwas wie
der Versandleiter gewesen sein. Vor seinem Maschinenhaus steht der Maschinist
der Spillanlage, auf der Drehscheibe der Drehscheibenwärter. Der Standort
der beiden anderen Männer legt Mutmaßungen über deren Funktion
nahe: der Herr rechts vom Wagen war für das Einhängen des Spillseils
zuständig, der Herr links vom Wagen für die Führung und
das Umlegen des Spillseiles.
DR (Brit-Us Zone)
Köln 13 582 SSla
Ratingen, März 1951, Foto: Archiv Balcke-Dürr GmbH/Sammlung Bernd Bastisch |
Vermutlich wurde das Spillseil
an der vorderen rechten Spillöse eingehängt und der Wagen auf
diese Weise bis zum Todpunkt vor das Maschinenhaus der Spillanlage gezogen.
Nachdem auf diese Weise die Drehscheibe wieder geräumt war, schwenkte
diese um rund 90 Grad zurück. Das Spillseil wurde wieder auf die mittelere
Umlenkrolle umgelegt um an der hinteren rechten Spillöse eingehängt
zu werden.
DR (Brit-Us Zone)
Köln 13 582 SSla
Ratingen, März 1951, Foto: Archiv Balcke-Dürr GmbH/Sammlung Bernd Bastisch |
Geschafft - fast! Noch sind die Sicherungsketten der Drehgestelle (5) nicht eingehängt und der Wagen muss noch von der Bühne abgezogen und zur Abholung bereit gestellt werden. Wenn es da nicht noch eine weitere, außerhalb des rechten Bildrandes gelegene Umlenkrolle gegeben hat, dürfte das für den Spillseil-Umleger mit reichlich Laufarbeit verbunden gewesen sein. Beachtenswert scheinen mir darüberhinaus zwei Details: Der Herr rechts im Bild scheint einen Hemmschuh (6) in der Hand zu halten und macht damit darauf aufmerksam, dass bei so einem Vorgang nicht nur das Spillseil umzulegen war, sondern auch mit Hemmschuhen gearbeitet werden musste. Offensichtlich war die Umlenkrolle am linken Rand der Drehscheibe (7) abnehmbar ausgeführt um bei so einem Vorgang nicht dem Wagenuntergestell im Weg zu sein.
Die Aufnahmen 1 und 2 entstanden bei voller Sonne und weisen dementsprechend deutlichen Schattenwürfe auf. Aus der Veränderung des Schattenwinkels (in den Bildausschnitten nur bedingt erkennbar) lässt sich die Dauer dieses Vorgangs berechnen. Zwischen der ersten und der dritten Aufnahme können demnach wenig mehr als 5 bis 8 Minuten vergangen sein ...
Die ersten Flachwagen, bei denen auf die Durchdrehbarkeit der Drehgestelle verzichtet wurde, dürften die vierachsigen Panzertransportwagen SSy(s) Köln gewesen sein. Dabei hatte die erste, 1941 als SSkra gelieferte Serie noch durchdrehbare Drehgestelle, der Außenlangträger war fischbauchförmig gestaltet mit Rahmenausschnitten über den Drehgestellen (siehe Abbildung im Güterwagen Archiv I, S. 214 unten.
Abschliessend ist darauf
hinzuweisen, dass sich die vorstehende Darstellung auf preussische und
deutsche Gegebenheiten bezieht. Dass es auch andere Konzepte durchdrehbarer
Drehgestelle gegeben hat und dass diese auch noch in den ersten Jahren
nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt wurden, belegt das Schweizer Drehgestell
SBB 2-46:
Achshalterloses,
schraubengefedertes
Drehgestell SBB 2-46, Achsstand 1 800 mm Foto: Hugo Kagerbauer |
Man bemerke in diesem Zusammenhang den mittig angeordneten Hydraulikzylinder und den auf der linken Rahmenseite gelagerten Pumphebel. Mit dieser Hydraulikpumpe konnte über im Hauptquerträger eingebaute Hubvorrichtungen das Wagenuntergestell um bis zu 230 mm angehoben und damit das Drehgestell unter dem Untergestell durchgedreht werden.