Güterwagen-Drehgestelle mit Wiege


Version 1.0*.79.1, Stand: 20. Februar 2007

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Drehgestelle mit Wiege: Görlitz (2600 mm Achsstand) - Kühlwagen - Schlieren - WUS/Opel, BA 701, 2. Besetzung

Im Zusammenhang mit Eisenbahn-Drehgestellen versteht man unter dem Begriff "Wiege" einen mit Pendeln am Drehgestellrahmen aufgehängten Drehpfannenträger. Dadurch sollen Bewegungen (Stöße, Schwingungen) quer zur Laufrichtung aufgefangen und gedämpft werden. Bei einer schrägen Anordnung der Pendel ist außerdem ein Rückstelleffekt gegeben.

Funktion
Drehgestelle mit Wiege werden in erster Linie für schnelllaufende Wagen erforderlich. Radsätze von Schienenfahrzeugen haben grundsätzlich ein konisches, kegelstumpförmiges Profil, das sie zum "Geradeauslauf" zwingt. Dieser "Zwang" aber führt zum Sinuslauf der Radsätze, zu einem sinusförmigen Hin-  und Herschwingen der Radsätze: Die Radsätze pendeln auf Grund ihres Profiles den Geradeauslauf praktisch aus, schwingen also horizontal in Fahrtrichtung hin und her. Je höher die Geschwindigkeit ist, desto schneller umdrehen sich die Radsätze - schwingen also mit steigender Frequenz zwischen den beiden Schienenköpfen. Werden diese Querschwingungen nicht gedämpft, übertragen sie sich auf das gesamte System und beeinträchtigen den Fahrkomfort. Im Extremfall kann es zur sogenannten Resonanzkatastrophe kommen, bei der die Fremdschwingungen den Eigenschwingungen entsprechen und das System zerschellen lassen (Stichwort: unterkritisches/überkritisches Laufwerk).

Aufbau
Auf der englischsprachigen Seite "Railway Technical Web Pages" finden sich im Kapitel über die Federung von Eisenbahnfahrzeugen (Vehicle Suspension Systems, http://www.railway-technical.com/suspen.html) einige sehr instruktive Grafiken, die den grundsätzlichen Aufbau und die Funktionsweise eines Drehgestells mit Wiege ("swing link", "swing motion") zeigen:
http://www.railway-technical.com/susp-swlnk.gif
http://www.railway-technical.com/susp-plate-2.gif
http://www.railway-technical.com/susp-bolst.gif

Eine weitere sehr anschauliche Darstellung eines Diamond-Drehgestells mit Wiege findet sich auf der Seite "New Trucks for SPC 472" (http://www.spcrr.org/NARFGrantWheels.html - zahlreiche Abbildungen, daher gegebenenfalls lange, aber sich lohnende Ladezeit).

Konventionelle Drehgestelle in H- oder Kastenbauweise haben einen fest mit den Seitenwangen verbundenen Hauptquerträger. Bei Drehgestellen mit Wiege besteht ist dieser Hauptquerträger in mehrere Bauteile aufgelöst: die Seitenwangen sind durch zwei Querträger ("transoms") fest miteinander verbunden. An diesen beide Querträgern sind die Pendel ("swing links") aufgehängt, die den Drehpfannenträger ("bolster") tragen.

Historische Entwicklung
Es ist wohl davon auszugehen, dass Wiegen-Drehgestelle aus dem Diamond-Drehgestell hervorgegangen sind. Diamond-Drehgstelle besitzen zwar wie die Three Piece Bogies (TPB) in der konventionellen Bauform auch einen gefederten Drehpfannenträger, der nicht fest mit den Seitenwangen verbunden ist ("bolster"), dieser allein jedoch macht Diamond-Drehgestelle (ebenso wie konventionelle TPBs) noch nicht zu einem Wiegen-Drehgestell. (Entsprechende Zuordnungen in der DV 939, z. B. "Belgische Bauart", Fwg 353.04.1, für 4-achsigen offenen Güterwagen Ealmo 106; "Amerikanische Bauart", BA 989, z. B. für Schienenwagen amerikanischer Herkunft XXo 49; "Bauart Daimond" <"Russische Bauart>, Fwg 269.04.3 für Schienenwagen russischer Herkunft SSyl 19, basieren auf Missverständnissen).

Bei Güterwagen-Drehgestellen (auch beim Diamond) hat man frühzeitig wieder auf die Ausrüstung mit einer Wiegeneinrichtung verzichtet, weil diese bei den gefahrenen Geschwindigkeiten nicht erforderlich war.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber die Entwicklung, die sich Ende der 1940er-Jahre bei der Suche nach einem Güterwagen-Drehgestell, das eine Beschleunigung des Güterverkehrs ermöglichen sollte, ergeben hat. Ergebnis dieser Bemühungen ist war das Minden Dorstfeld-Drehgestell, das in den frühen 1950er-Jahren von der UIC als Güterwagen-Drehgestell standardisiert wurde und lange Zeit die Drehgestell-Entwicklung geprägt hat.

Das Minden Dorstfeld hat zwar dem hier dargestellten Verständnis nach keine Wiege, erbringt aber entsprechende lauftechnische Effekte: Die Langschaken, an denen die Blattfederpakete aufgehängt sind, wirken wie die Pendel einer Wiege: Sie machen den gesamten Drehgestellrahmen zu einer Art "Wiegensystem". Die vor allem bei höheren Geschwindigkeiten gefährlichen Querschwingungen werden dabei durch die Reibung, vor allem zwischen Schaken und Schakensteinen, gedämpft. Dadurch war es möglich, auch mit Güterwagen ohne spezielle Wiegen-Drehgestelle Geschwindigkeiten von 100 km/h und mehr zu fahren.

Quellen:
Carstens, Stefan; Ossig, Rudolf: Güterwagen Band 1: Gedeckte Wagen. Nürnberg 1989
Deppmeyer, Joachim: Die Einheits-Personen- und Gepäckwagen der Deutschen Reichsbahn. Bauarten 1921 - 1931 - Regelspur -. Stuttgart 1982
Deppmeyer, Joachim: Die Einheits-Personen- und Gepäckwagen der Deutschen Reichsbahn. Bauarten 1932 - 1937 - Regelspur -. Stuttgart 1988
Deutsche Bundesbahn: Merkbuch für die Schienenfahrzeuge der Deutschen Bundesbahn. Güterwagen. Band 2. DV 939 F,  Januar 1967 und nachfolgenden Berichtigungen (bis B 12)
Madeyski, Dr.-Ing. Thilo von: Drehgestelle für Reisezugwagen (in: Elsners Taschenbuch der Eisenbahntechnik 1975, S. 322 - 346)
Schinke, Reichsbahnrat: Der heutige Stand der Laufverbesserung bei Eisenbahngüterwagen (= Verkehrstechnische Woche. Zeitschrift für das gesamte Verkehrswesen, Heft 40 vom 2. Oktober 1935, S. 517 - 524)
Rose, Rolf D., Braunschweig: Persönliche Mitteilungen
 


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