Güterwagen-Drehgestelle: Talbot

Version 2.01.93.1, Stand: 16. November 2014 

Inhaltsverzeichnis - Talbot HauptseiteZeichnungen - Fotos 1: Vergleich Minden Dorstfeld/Talbot/887 - Fotos 2: Vergleich "TTU"/"TTR" - DB Bauarten TTU (550, 551) - DB Bauarten TTR (552, 553, 567, 694) - Fotos 3: Talbot - Bauartunterschiede - nächstes Kapitel - Impressum

Mit dem Minden Siegen hatte die UIC neben dem Y 25 zwar auch eine deutsche Drehgestell-Bauart standardisiert, doch nur ein einziger deutscher Waggon-Hersteller konnte dieses komplett selbst bauen. Ursache: die Pressblech-Bauteile (Seitenwangen usw.), die aus Kostengründen ausschließlich in Siegen hergestellt werden konnten. Eigene Pressen und die dazugehörigen Werkzeuge anzuschaffen, war für die anderen Hersteller völlig unwirtschaftlich. Also mussten diese die Seitenwangen usw., Stück für Stück in Siegen zukaufen. Dadurch konnte die eine Seite nicht nur den Preis festlegen, sie erfuhr - weil ja nur noch Minden Siegen-Drehgestelle gebaut wurden - auch genau, wie es um die Auftragslage bei den Mitwettbewerbern bestellt war.

Soweit es um Bestellungen der Deutschen Bundesbahn ging, gab es zum Minden Siegen grundsätzlich keine Alternative. Anders dagegen bei den Privateinsteller und ausländischen Bahnverwaltungen, die kostengünstigeren Alternativen durchaus aufgeschlossen und nicht an die Beschaffungsgrundsätze der DB gebunden waren.

Vor diesem Hintergrund haben sich seinerzeit zwei Güterwagen-Hersteller, Talbot und LHB, dazu entschieden, für Privatkunden und ausländische Verwaltungen eigene Drehgestelle zu entwickeln.

Den Anfang hat, nach meinen Beobachtungen, Talbot in den späten sechziger Jahren gemacht. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte der Talbot Drehgestelle recht überschaubar zu sein, bei näherem Hinsehen erweist sich diese jedoch als ziemlich verzwickt, zumal mir außer einer groben Skizze kaum schriftliche Informationen zu diesen Drehgestellen vorliegen. So bin ich weitestgehend auf meine eigenen Beobachtungen angewiesen.

Grundsätzlich sind zunächst zwei Talbot Bauarten zu unterscheiden: Talbot Typ U und Talbot Typ R.

Spätestens ab 1968 stand die Bauart "Talbot Typ U" zur Verfügung. Das "Talbot Typ U", oder abgekürzt "TTU" sieht auf den ersten Blick wie ein verkürztes Minden Dorstfeld-Drehgestell aus: Seitenwangen mit zwei kreisförmigen Bremsschaulöchern, Kopfquerträger aus U-Profilen (daher: "Typ U"). Die kreisförmigen Bremsschaulöcher liegen jedoch nicht wie beim Minden Dorstfeld oder beim "887" in einer waagrechten Linie, sondern die inneren Bremsschaulöcher sind bei den Talbot-Drehgestellen etwas nach unten versetzt. Denkt man sich eine Linie, die durch die Mittelpunkte aller vier Ausschnitte führt, erhält man ein Trapez. Der Kopfquerträger liegt etwas niedriger als der des Minden Dorstfeld-Drehgestells, aber mit 635 mm über SO zu hoch, um als AK-tauglich zu gelten.

Mit dem "TTU" stand nicht nur Talbot selbst eine kostengünstige Alternative zum Minden Siegen-Drehgestell zur Verfügung, sondern auch anderen Güterwagen-Herstellern, die in der Folge dieses Drehgestell in Lizenz nachbauten oder es fertig zukauften. Unter anderem wurden in dieser Zeit alle von Kaminski gebauten Drehgestellwagen grundsätzlich mit Talbot-Drehgestellen ausgerüstet.

Spätestens ab 1970 entstand bei Talbot eine Weiterentwicklung dieses Drehgestells: Anstelle des U-Profils als Kopfquerträger trat nun ein deutlich tiefer angesetzter Rohrquerträger, selbstverständlich an beiden Köpfen durchgehend. Dadurch ist das "Talbot Typ R" ("TTR") leicht mit dem "887" zu verwechseln, zumal auch die Form des mittleren Federbockes recht ähnlich ist. Das äußere Unterscheidungsmerkmal sind hier praktisch einzig die versetzten Bremsschaulöcher.

Beide Drehgestell-Bauarten wurden zeitweise parallel gebaut: 1970/71 bei Talbot selbst, mindestens bis 1974 bei Lizenznehmern (Kaminski, Kraljevo-YU). Ab 1975 hat CFMF (Compagnie Francais de Construction de Matériel Ferroviaire, Balbigny) das TTR in Lizenz gebaut und weiterentwickelt. Darüberhinaus wurde - jedenfalls das TTU - nachträglich teilweise verstärkt, so dass eine Vielzahl von Varianten zu beobachten sind, die nur ansatzweise in ihrem Zustandekommen erklärt werden können.
Die Bauartunterschiede betreffen:

a) die Aufhängung der Bremsklotzschuhe
Sowohl TTU als auch TTR-Drehgestelle besaßen zunächst Bremsklotzschuhe "ohne Schwerpunktaufhängung". Durch die mittige Aufhängung der Bremsklotzschuhe stehen die Bremsklötze in gelöstem Zustand nicht parallel zur Lauffläche der Räder und können daher einen unerwünschten Abrieb bewirken. Dem wirkt die Ziehl'sche Feder, eine in den Bremsschaulöchern erkennbare Rückstellfeder aus Draht, entgegen. Diese Drehgestelle erhielten die Bauartnummern 550 (TTU) und 552 (TTR).
Ende der sechziger Jahre wurde die Aufhängung der Bremsklotzschuhe im Schwerpunkt eingeführt, bei der auf die Rückstellfeder verzichtet werden kann. TTU und TTR wurden jedoch zunächst ohne Schwerpunktaufhängung gebaut. Erst etwa ab 1973 wurden TTR mit Schwerpunktaufhängung geliefert (= BA 553).
Darüberhinaus sind im "Modul 984 03" von 1995 TTU mit Schwerpunktaufhängung als BA 551 genannt. Diese Drehgestell Bauart ist mir aber bislang nur in Form von Drehgestellen begegnet, die ab 1998 in den Bereich der DBAG gelangten (TTU/VAM, gleichzeitig mit geraden Federenden. Leider befinden sich an diesen Drehgestellen keine Fabrikschilder, so dass ich nicht sagen kann, wann diese gebaut wurden). Es müsste demnach schon vor 1995 solche Drehgestelle in Deutschland gegeben haben - nur: wer hat die gebaut? und wann?
Fakt ist, dass ich nicht genau weiß, wann die Schwerpunktaufhängung (zu diesem Thema wird es demnächst eine Sonderseite geben), auf breiter Front eingeführt wurde. Einerseits kenne ich Minden Dorstfeld-Drehgestelle mit Schwerpunktaufhängung, andererseits gibt es die Minden Siegen sowohl ohne als auch mit Schwerpunktaufhängung ... und ich hätte diesen Unterschied überhaupt nicht bemerkt, wenn er nicht bei den Talbot-Drehgestellen zu unterschiedlichen BA-Nummern geführt hätte).

b) Federbauart
Zunächst wurden TTU und TTR für Federn mit eingezogenen Federenden ausgerüstet (Breite im Bereich des Federauges 90 statt 120 mm). Die Seitenwangen haben im Bereich der Federschakensteine ovale Ausschnitte, die ein Eintauchen beim Querschwingen erlauben.
Ab 1973 wurden die Drehgestelle so verändert, dass Federn mit geraden Federenden eingebaut werden konnten. Dazu waren größere Ausschnitte in den Seitenwangen erforderlich, die innen durch muschelartige Blechkappen hinterlegt sind.
Bisher ist mir kein TTU  bzw. TTR "ohne Schwerpunktaufhängung" (550, 552) mit geraden Federenden bekannt. Denkbar erscheint mir, dass es das TTU "mit Schwerpunktaufhängung" (551) auch in der Version mit eingezogenen Federenden gibt, gesichtet habe ich diese Drehgestell-Variante bisher jedoch nur mit geraden Federenden (TTU/VAM, niederländisch-jugoslawischer Nachbau).
Das TTR gibt es von der Varianten "mit Schwerpunktaufhängung" (553) sowohl Drehgestelle mit eingezogenen Federenden als auch Drehgestelle mit geraden Federenden.
Fakt ist, dass LHB ab 1974 Federn mit geraden Federenden eingebaut hat und dafür eine eigene Bauartbezeichnung vergeben hat, LHB 74. Man darf also vielleicht davon ausgehen können, dass Drehgestelle mit Schwerpunktauffhängung und geraden Federenden nicht vor 1973 gebaut worden sein können ... (soviel zu der leidigen Frage nach dem Baujahr der TTU/VAM-Drehgestelle).

c) Ausführung der Federböcke (siehe Seite "Fotos 3:  Talbot/Bauartunterschiede")
Ursprünglich waren sowohl die äußeren Federböcke als auch der mittlere bei den Talbot Drehgestellen aus Blechzuschnitten profilartig zusammengeschweißt - behaupt ich mal.
Beim TTU wurden die äußeren Federböcke teilweise nachträglich durch eingeschweißte Blechstreifen verstärkt. Die Ausführung der Schweißnähte legt bei einigen Drehgestellen die Vermutung nahe, dass diese Verstärkung nicht nachträglich, sondern bereits beim Bau erfolgte. Darüberhinaus gibt es TTU, bei denen die äußeren Federbockträger aus Pressblechteilen bestehen - inwieweit da einer zeitlicher Folgezusammenhang existiert ist mir immer noch nicht klar.
Bemerkenswert ist, dass bei den TTU/VAM die äußeren Federböcke aus nicht verstärkten Blechzuschnitten bestehen, die inneren dagegen - man wird wohl davon ausgehen können - werksseitig verstärkt gebaut wurden.
Auch beim TTR sind die äußeren Federböcke teils aus Blechzuschnitten, teils aus Pressblechbauteilen zusammengesetzt. Soweit ich das nach gegenwärtigem Stand beurteilen kann, sind die Drehgestelle mit den Blech-Federböcken durchweg älter.

d) Gleitstücke
Grundsätzlich sind die Talbot Drehgestelle mit festen Gleitstücken ausgestattet. Ab 1976 hat der französische Lizenznehmer CFMF begonnen, TTR-Drehgestelle mit federnden Gleitstücken auszustatten. Für diese Drehgestell-Variante  ist im Modul 984 03 die Bauartnummer 567 angegeben mit dem erläuternden Hinweis "... BA Talbot U/R, ohne Wiege, mit federnden Gleitstücken, Lizenzbau CFPM/Frankreich ..."
Auf Grund des Entstehungszeitpunktes dieser Variante würde es mich sehr überraschen, wenn es tatsächlich auch TTU mit federnden Gleitstücken gäbe.
Eher öfter als selten finden sich TTR mit federenden Gleitstücken, die als "BA 553" (statt 567) gekennzeichnet sind.

e) Bauartnummer 694

 Drehgestell BA 694 (= Talbot Typ R, obere Umgurtung der Seitenwangen-Stehbleche beidseitig im mittleren Bereich abgewinkelt
(Schwenkbereich der Ladegerüstes)

 links: 82 80 D-DH 470 0 008-0, rechts: 82 80 D-DH 470 0 000-7; Fotos: Jörg van Essen, 17. September 2009, Dillingen/Saar

1972/73 hat die Waggonfabrik Talbot im Auftrag von Hüttenwerken einen Großblech-Transportwagen mit drehbarem Ladegerüst entwickelt, der dann aber an die Deutsche Bundesbahn ausgeliefert und als Bauart Ss-u 694 eingereiht wurde. Diese Wagen, die 1976 an verschiedene Hüttenwerke verkauft wurden, laufen auf TTR-Drehgestellen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Bauartnummer für Privatwagen Drehgestelle gab, erhielten diese Drehgestelle die Bauartnummer 694. 

f) Bauartnummer 094
Im "Modul 984 03" ist diese Bauart als "'BA Talbot Typ R82' ... Weiterentwicklung der BA 694 und Talbot R ... 60 mm dicke Bremssohlen ... max. Radsatzlast (RSL) 22,5 t" beschrieben. Für mich ist diesr Unterschied bislang nicht erkennbar. Die Fotos, die mir aktuell von dieser Drehgestell Bauart vorliegen zeigen ein "normales" TTR: mit Schwerpunktaufhängung, geraden Federenden, normalem Gleistück, verstärktem inneren Federnbock, äußere Federböcke aus Pressblechteilen.
An dieser Stelle sei noch ein weiterer Hinweis erlaubt: die Federböcke der Talbot Drehgestelle wurden anlässlich der Einführung der
Federn mit geradem Federende nur in der Form verändert, dass die Buchse für die Schakensteinbolzen entsprechend verlängert wurden (auf beiden Seiten um 15 mm, vgl. Kirow-Drehgestelle).

g) Bauartnummer 811, 812
Diese beiden Bauarten verzeichnet das Modul 984 03 unter den ehemaligen DR-Drehgestellen mit dem Hinweis "VTG Bauart, Hersteller Uerdingen/Kaminski". Bislang ist mir noch kein Drehgestell dieser Bauarten begegnet. Der Hinweis auf VTG bzw. Uerdingen/Kaminski legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um Talbot-Bauarten handeln könnte.

Anmerkung zum TTU/VAM
Diese Drehgestelle wurden von Werksspoor (NL) und in Kraljevo (YU/SLO) für Müllwagen Takkls 850 der niederländischen Firma VAM gebaut und gelangten nach Ausmusterung der Wagenkästen an die EVA, um nicht mehr zugelassene Minden Siegen Drehgestelle der Bauart 661 zu ersetzen. Diese Drehgestelle sind erkennbar vom TTU abgeleitet. Über die bereits oben beschriebenen Unterschiede gegenüber dem "normalen" TTU weisen diese Drehgestelle weitere, äußerlich nicht erkennbare Unterschiede auf. (Aufhängung der Bremsbauteile, Fangeisen etc.). Äußerlich sind die TTU/VAM außer an den Rahmenwangen-Ausschnitten (die wegen den geraden Federenden erforderlich wurden) auch daran, dass die Seitenwangen im Bereich der Achshalter im Gegensatz zu den regulären TTU einige Zentimeter heruntergezogen sind.

In den Achtziger Jahren wurde das Talbot Typ R noch einmal weiterentwickelt und mit Parabelfedern ausgerüstet. Mehr Informationen zu dieser Varianten finden sich im Kapitel über die Parabelfeder-Drehgestelle.
Der Abschluss der Drehgestell-Entwicklung bei Talbot, das Talbot DRRS, wird in einen eigenen Kapitel behandelt..

Quelle:
Deutsche Bahn, Geschäftsbereich Werke: Modul 984 03 Güterwagen und Container instandhalten - Drehgestelle - gültig ab 01.10.1995
Nahon, Hans: Tausch der Drehgestelle BA 661 bei Wagen der EVA durch WBA (in: Güterwagen-Correspondenz 78/79, Dezember 2000, S. 206/207)
Perner, Dr. Detlev: transport logistic 2001 - München. 8. Internationale Fachmesse für Logistik, Telematik, Güter- und Personenverkehr. Teil II. 1. 4-achsiger Großblech-Tranportwagen mit einseitig hydraulisch drehbarem, dreigeteiltem Ladegerüst Slps-u 725 (in: Güterwagen-Correspondenz 84/85, Oktober 2001, S. 113 - 124)
 


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