Inhaltsverzeichnis - Talbot Hauptseite - Zeichnungen - Fotos 1: Vergleich Minden Dorstfeld/Talbot/887 - Fotos 2: Vergleich "TTU"/"TTR" - DB Bauarten TTU (550, 551) - DB Bauarten TTR (552, 553, 567, 694) - Fotos 3: Talbot - Bauartunterschiede - nächstes Kapitel - Impressum
Mit dem Minden Siegen hatte die UIC neben dem Y 25 zwar auch eine deutsche Drehgestell-Bauart standardisiert, doch nur ein einziger deutscher Waggon-Hersteller konnte dieses komplett selbst bauen. Ursache: die Pressblech-Bauteile (Seitenwangen usw.), die aus Kostengründen ausschließlich in Siegen hergestellt werden konnten. Eigene Pressen und die dazugehörigen Werkzeuge anzuschaffen, war für die anderen Hersteller völlig unwirtschaftlich. Also mussten diese die Seitenwangen usw., Stück für Stück in Siegen zukaufen. Dadurch konnte die eine Seite nicht nur den Preis festlegen, sie erfuhr - weil ja nur noch Minden Siegen-Drehgestelle gebaut wurden - auch genau, wie es um die Auftragslage bei den Mitwettbewerbern bestellt war.
Soweit es um Bestellungen der Deutschen Bundesbahn ging, gab es zum Minden Siegen grundsätzlich keine Alternative. Anders dagegen bei den Privateinsteller und ausländischen Bahnverwaltungen, die kostengünstigeren Alternativen durchaus aufgeschlossen und nicht an die Beschaffungsgrundsätze der DB gebunden waren.
Vor diesem Hintergrund haben sich seinerzeit zwei Güterwagen-Hersteller, Talbot und LHB, dazu entschieden, für Privatkunden und ausländische Verwaltungen eigene Drehgestelle zu entwickeln.
Den Anfang hat, nach meinen Beobachtungen, Talbot in den späten sechziger Jahren gemacht. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte der Talbot Drehgestelle recht überschaubar zu sein, bei näherem Hinsehen erweist sich diese jedoch als ziemlich verzwickt, zumal mir außer einer groben Skizze kaum schriftliche Informationen zu diesen Drehgestellen vorliegen. So bin ich weitestgehend auf meine eigenen Beobachtungen angewiesen.
Grundsätzlich sind zunächst zwei Talbot Bauarten zu unterscheiden: Talbot Typ U und Talbot Typ R.
Spätestens ab 1968 stand die Bauart "Talbot Typ U" zur Verfügung. Das "Talbot Typ U", oder abgekürzt "TTU" sieht auf den ersten Blick wie ein verkürztes Minden Dorstfeld-Drehgestell aus: Seitenwangen mit zwei kreisförmigen Bremsschaulöchern, Kopfquerträger aus U-Profilen (daher: "Typ U"). Die kreisförmigen Bremsschaulöcher liegen jedoch nicht wie beim Minden Dorstfeld oder beim "887" in einer waagrechten Linie, sondern die inneren Bremsschaulöcher sind bei den Talbot-Drehgestellen etwas nach unten versetzt. Denkt man sich eine Linie, die durch die Mittelpunkte aller vier Ausschnitte führt, erhält man ein Trapez. Der Kopfquerträger liegt etwas niedriger als der des Minden Dorstfeld-Drehgestells, aber mit 635 mm über SO zu hoch, um als AK-tauglich zu gelten.
Mit dem "TTU" stand nicht nur Talbot selbst eine kostengünstige Alternative zum Minden Siegen-Drehgestell zur Verfügung, sondern auch anderen Güterwagen-Herstellern, die in der Folge dieses Drehgestell in Lizenz nachbauten oder es fertig zukauften. Unter anderem wurden in dieser Zeit alle von Kaminski gebauten Drehgestellwagen grundsätzlich mit Talbot-Drehgestellen ausgerüstet.
Spätestens ab 1970 entstand bei Talbot eine Weiterentwicklung dieses Drehgestells: Anstelle des U-Profils als Kopfquerträger trat nun ein deutlich tiefer angesetzter Rohrquerträger, selbstverständlich an beiden Köpfen durchgehend. Dadurch ist das "Talbot Typ R" ("TTR") leicht mit dem "887" zu verwechseln, zumal auch die Form des mittleren Federbockes recht ähnlich ist. Das äußere Unterscheidungsmerkmal sind hier praktisch einzig die versetzten Bremsschaulöcher.
Beide Drehgestell-Bauarten
wurden zeitweise parallel gebaut: 1970/71 bei Talbot selbst, mindestens
bis 1974 bei Lizenznehmern (Kaminski, Kraljevo-YU). Ab 1975 hat CFMF (Compagnie
Francais de Construction de Matériel Ferroviaire, Balbigny) das
TTR in Lizenz gebaut und weiterentwickelt. Darüberhinaus wurde - jedenfalls
das TTU - nachträglich teilweise verstärkt, so dass eine Vielzahl
von Varianten zu beobachten sind, die nur ansatzweise in ihrem Zustandekommen
erklärt werden können.
Die Bauartunterschiede betreffen:
a) die Aufhängung der
Bremsklotzschuhe
Sowohl TTU als auch TTR-Drehgestelle
besaßen zunächst Bremsklotzschuhe "ohne Schwerpunktaufhängung".
Durch die mittige Aufhängung der Bremsklotzschuhe stehen die Bremsklötze
in gelöstem Zustand nicht parallel zur Lauffläche der Räder
und können daher einen unerwünschten Abrieb bewirken. Dem wirkt
die Ziehl'sche Feder, eine in den Bremsschaulöchern erkennbare Rückstellfeder
aus Draht, entgegen. Diese Drehgestelle erhielten die Bauartnummern 550
(TTU) und 552 (TTR).
Ende der sechziger Jahre
wurde die Aufhängung der Bremsklotzschuhe im Schwerpunkt eingeführt,
bei der auf die Rückstellfeder verzichtet werden kann. TTU und TTR
wurden jedoch zunächst ohne Schwerpunktaufhängung gebaut. Erst
etwa ab 1973 wurden TTR mit Schwerpunktaufhängung geliefert (= BA
553).
Darüberhinaus sind
im "Modul 984 03" von 1995 TTU mit Schwerpunktaufhängung als BA 551
genannt. Diese Drehgestell Bauart ist mir aber bislang nur in Form von
Drehgestellen begegnet, die ab 1998 in den Bereich der DBAG gelangten (TTU/VAM,
gleichzeitig mit geraden Federenden. Leider befinden sich an diesen Drehgestellen
keine Fabrikschilder, so dass ich nicht sagen kann, wann diese gebaut wurden).
Es müsste demnach schon vor 1995 solche Drehgestelle in Deutschland
gegeben haben - nur: wer hat die gebaut? und wann?
Fakt ist, dass ich nicht
genau weiß, wann die Schwerpunktaufhängung (zu diesem Thema
wird es demnächst eine Sonderseite geben), auf breiter Front eingeführt
wurde. Einerseits kenne ich Minden Dorstfeld-Drehgestelle mit Schwerpunktaufhängung,
andererseits gibt es die Minden Siegen sowohl ohne als auch mit Schwerpunktaufhängung
... und ich hätte diesen Unterschied überhaupt nicht bemerkt,
wenn er nicht bei den Talbot-Drehgestellen zu unterschiedlichen BA-Nummern
geführt hätte).
b) Federbauart
Zunächst wurden TTU
und TTR für Federn mit eingezogenen Federenden ausgerüstet (Breite
im Bereich des Federauges 90 statt 120 mm). Die Seitenwangen haben im Bereich
der Federschakensteine ovale Ausschnitte, die ein Eintauchen beim Querschwingen
erlauben.
Ab 1973 wurden die Drehgestelle
so verändert, dass Federn mit geraden Federenden eingebaut werden
konnten. Dazu waren größere Ausschnitte in den Seitenwangen
erforderlich, die innen durch muschelartige Blechkappen hinterlegt sind.
Bisher ist mir kein TTU
bzw. TTR "ohne Schwerpunktaufhängung" (550, 552) mit geraden Federenden
bekannt. Denkbar erscheint mir, dass es das TTU "mit Schwerpunktaufhängung"
(551) auch in der Version mit eingezogenen Federenden gibt, gesichtet habe
ich diese Drehgestell-Variante bisher jedoch nur mit geraden Federenden
(TTU/VAM, niederländisch-jugoslawischer Nachbau).
Das TTR gibt es von der
Varianten "mit Schwerpunktaufhängung" (553) sowohl Drehgestelle mit
eingezogenen Federenden als auch Drehgestelle mit geraden Federenden.
Fakt ist, dass LHB ab 1974
Federn mit geraden Federenden eingebaut hat und dafür eine eigene
Bauartbezeichnung vergeben hat, LHB 74. Man darf also vielleicht davon
ausgehen können, dass Drehgestelle mit Schwerpunktauffhängung
und geraden Federenden nicht vor 1973 gebaut worden sein können ...
(soviel zu der leidigen Frage nach dem Baujahr der TTU/VAM-Drehgestelle).
c) Ausführung der Federböcke
(siehe Seite "Fotos 3: Talbot/Bauartunterschiede")
Ursprünglich waren
sowohl die äußeren Federböcke als auch der mittlere bei
den Talbot Drehgestellen aus Blechzuschnitten profilartig zusammengeschweißt
- behaupt ich mal.
Beim TTU wurden die äußeren
Federböcke teilweise nachträglich durch eingeschweißte
Blechstreifen verstärkt. Die Ausführung der Schweißnähte
legt bei einigen Drehgestellen die Vermutung nahe, dass diese Verstärkung
nicht nachträglich, sondern bereits beim Bau erfolgte. Darüberhinaus
gibt es TTU, bei denen die äußeren Federbockträger aus
Pressblechteilen bestehen - inwieweit da einer zeitlicher Folgezusammenhang
existiert ist mir immer noch nicht klar.
Bemerkenswert ist, dass
bei den TTU/VAM die äußeren Federböcke aus nicht verstärkten
Blechzuschnitten bestehen, die inneren dagegen - man wird wohl davon ausgehen
können - werksseitig verstärkt gebaut wurden.
Auch beim TTR sind die äußeren
Federböcke teils aus Blechzuschnitten, teils aus Pressblechbauteilen
zusammengesetzt. Soweit ich das nach gegenwärtigem Stand beurteilen
kann, sind die Drehgestelle mit den Blech-Federböcken durchweg älter.
d) Gleitstücke
Grundsätzlich sind
die Talbot Drehgestelle mit festen Gleitstücken ausgestattet. Ab 1976
hat der französische Lizenznehmer CFMF begonnen, TTR-Drehgestelle
mit federnden Gleitstücken auszustatten. Für diese Drehgestell-Variante
ist im Modul 984 03 die Bauartnummer 567 angegeben mit dem erläuternden
Hinweis "... BA Talbot U/R, ohne Wiege, mit federnden Gleitstücken,
Lizenzbau CFPM/Frankreich ..."
Auf Grund des Entstehungszeitpunktes
dieser Variante würde es mich sehr überraschen, wenn es tatsächlich
auch TTU mit federnden Gleitstücken gäbe.
Eher öfter als selten
finden sich TTR mit federenden Gleitstücken, die als "BA 553" (statt
567) gekennzeichnet sind.
e) Bauartnummer 694
Drehgestell BA 694 (= Talbot Typ R, obere Umgurtung der
Seitenwangen-Stehbleche beidseitig im mittleren Bereich abgewinkelt (Schwenkbereich der Ladegerüstes) links: 82 80 D-DH 470 0 008-0, rechts: 82 80 D-DH 470 0 000-7; Fotos: Jörg van Essen, 17. September 2009, Dillingen/Saar |
1972/73 hat die Waggonfabrik Talbot im Auftrag von Hüttenwerken einen Großblech-Transportwagen mit drehbarem Ladegerüst entwickelt, der dann aber an die Deutsche Bundesbahn ausgeliefert und als Bauart Ss-u 694 eingereiht wurde. Diese Wagen, die 1976 an verschiedene Hüttenwerke verkauft wurden, laufen auf TTR-Drehgestellen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Bauartnummer für Privatwagen Drehgestelle gab, erhielten diese Drehgestelle die Bauartnummer 694.
f) Bauartnummer 094
Im "Modul 984 03" ist diese
Bauart als "'BA Talbot Typ R82' ... Weiterentwicklung der BA 694 und Talbot
R ... 60 mm dicke Bremssohlen ... max. Radsatzlast (RSL) 22,5 t" beschrieben.
Für mich ist diesr Unterschied bislang nicht erkennbar. Die Fotos,
die mir aktuell von dieser Drehgestell Bauart vorliegen zeigen ein "normales"
TTR: mit Schwerpunktaufhängung, geraden Federenden, normalem Gleistück,
verstärktem inneren Federnbock, äußere Federböcke
aus Pressblechteilen.
An dieser Stelle sei noch
ein weiterer Hinweis erlaubt: die Federböcke der Talbot Drehgestelle
wurden anlässlich der Einführung der
Federn mit geradem Federende
nur in der Form verändert, dass die Buchse für die Schakensteinbolzen
entsprechend verlängert wurden (auf beiden Seiten um 15 mm, vgl. Kirow-Drehgestelle).
g) Bauartnummer 811, 812
Diese beiden Bauarten verzeichnet
das Modul 984 03 unter den ehemaligen DR-Drehgestellen mit dem Hinweis
"VTG Bauart, Hersteller Uerdingen/Kaminski". Bislang ist mir noch kein
Drehgestell dieser Bauarten begegnet. Der Hinweis auf VTG bzw. Uerdingen/Kaminski
legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um Talbot-Bauarten handeln
könnte.
Anmerkung zum TTU/VAM
Diese Drehgestelle wurden
von Werksspoor (NL) und in Kraljevo (YU/SLO) für Müllwagen Takkls
850 der niederländischen Firma VAM gebaut und gelangten nach Ausmusterung
der Wagenkästen an die EVA, um nicht mehr zugelassene Minden Siegen
Drehgestelle der Bauart 661 zu ersetzen. Diese Drehgestelle sind erkennbar
vom TTU abgeleitet. Über die bereits oben beschriebenen Unterschiede
gegenüber dem "normalen" TTU weisen diese Drehgestelle weitere, äußerlich
nicht erkennbare Unterschiede auf. (Aufhängung der Bremsbauteile,
Fangeisen etc.). Äußerlich sind die TTU/VAM außer an den
Rahmenwangen-Ausschnitten (die wegen den geraden Federenden erforderlich
wurden) auch daran, dass die Seitenwangen im Bereich der Achshalter im
Gegensatz zu den regulären TTU einige Zentimeter heruntergezogen sind.
In den Achtziger Jahren wurde
das Talbot Typ R noch einmal weiterentwickelt und mit Parabelfedern ausgerüstet.
Mehr Informationen zu dieser Varianten finden sich im Kapitel über
die Parabelfeder-Drehgestelle.
Der Abschluss der Drehgestell-Entwicklung
bei Talbot, das Talbot DRRS, wird in einen eigenen Kapitel behandelt..
Quelle:
Deutsche Bahn, Geschäftsbereich
Werke: Modul 984 03 Güterwagen und Container instandhalten - Drehgestelle
- gültig ab 01.10.1995
Nahon, Hans: Tausch der
Drehgestelle BA 661 bei Wagen der EVA durch WBA (in: Güterwagen-Correspondenz
78/79, Dezember 2000, S. 206/207)
Perner, Dr. Detlev: transport
logistic 2001 - München. 8. Internationale Fachmesse für Logistik,
Telematik, Güter- und Personenverkehr. Teil II. 1. 4-achsiger Großblech-Tranportwagen
mit einseitig hydraulisch drehbarem, dreigeteiltem Ladegerüst Slps-u
725 (in: Güterwagen-Correspondenz 84/85, Oktober 2001, S. 113 - 124)