Güterwagen-Drehgestelle: Vorläufer - Württemberg (Güterwagen), 1845

Version 1.04.98.1, Stand: 16. Mai 2017

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Die nachfolgende Darstellung beruht auf den unten angegebenen Quellen. Da erfreulicherweise immer mehr historische Quellen auch online verfügbar sind, ergibt sich ein recht differenzierter Einblick in die Entwicklung der ersten württembergischen Güterwagen-Drehgestelle. Allerdings verstanden sich die historischen Beschreibungen in erster Linie als Beiträge zur zeitgenössischen Fachdiskussion und waren nicht als Anweisungen für die Ausführung der Konstruktionen gedacht. So konkrete Angaben fehlen leider und daher ergeben sich aus heutiger Sicht zum Teil Fragen und Widersprüche, die nicht eindeutig geklärt werden können. Ebenso ist eine eindeutige Zuordnung der beschriebenen Drehgestelle zu Lieferungen und Wagen kaum möglich.


Rahmenlose Drehgestelle mit Pendelfedern - Fig. 1. bis 3.: Untergestell nordamerikanischer Gütertransportwagen (Entwurf Winans?), Fig. 4. bis 6.: Untergestell württembergischer Transportwagen; Quelle: [1, Bearb. G-D]


Rahmenloses Eisen-Drehgestell mit undulierenden Federn

Eisener Querträger ("bolster", "lower bolster") mit mittiger Aufnahme für Drehzapfen ("Bolzen", "Reibnagel", "pivot"), an beiden Enden zylindrische Nabensitze für (nicht geschmierte) Traglager und Friktionsrollen. Friktionsrollen zur seitlichen Abstützung des Wagenkastens. Gusseiserne Traglager die Blattfedern in der Mitte sattelartig umfassend (Pendellagerung, etwa wie ein Ausgleichshebel wirkend) mit Halterung für Bolzen zur Aufhängung der hölzernen Bremsklötze. Radsatzführung durch die Blattfedern. Achslager an den Enden der Federn verschraubt. Von einer Plattform per Fuß bedienbare, einseitig innen wirkende Bremse in einem Drehgestell.

"Jedes dieser Untergestelle besteht aus zwei Räderpaaren, aus zwei auf deren Achsenbüchsen mit Schrauben befestigten, starken Federn, welch zugleich den Rahmen ersetzen und aus einem eisernen Träger, der an beiden Enden auf der Mitte der zwei Federn ruht und daselbst in gußeisernen Sätteln festgehalten ist. Der Träger endet an jeder Seite in einem abgerundeten Zapfen, an welchem eine Friktionsrolle sitzt, und hat in der Mitte eine runde Öffnung zur Aufnahme eines starken Bolzens, welcher das Gestell mit dem Oberteil des Wagens in Verbindung setzt und um welchen dasselbe drehbar ist." [2.1, S. 327] "Die beiden Friktionsrollen an dem Tragbalken des Untergestells gestatten die Drehung des Untergestells im horizontalen Sinn um den Reibnagel, und die Art und Weise, wie der Tragbalken auf den Federn gehalten ist, erlaubt eine undulierende (wellenförmig, pendelnd - Anm. d. Red.) Bewegung des Gestells ohne dass der Wagenkasten etwas hiervon verspürte" [2.2, S. 329]

"Bei den amerikanischen achträdrigen Wagen sind jedoch häufig die losen Untergestelle ohne alle Achsgabeln eingerichtet. Jedes der beiden Untergestelle besteht nämlich aus zwei Räderpaaren, zwei Tragfedern, welche mit den Enden auf den Achsbüchsen der Räder mittelst Schrauben befestigt sind und die Achsgabeln ersetzen und aus einem Querträger, welcher aus gewöhnlichem Eisen besteht und mit beiden Enden auf der Mitte der beiden Federn ruht, wo er auf eisernen Sätteln festgehalten wird. an seinen Enden hat dieser Querträger runde Zapfen mit aufgesteckten Friktionsrollen auf welche sich die Querträger des Wagenkastens stützen und den letztern vor Seitenschwankungen bewahren. " (Klinge, Obermaschinenmeister der Mecklenburgischen Eisenbahn, Schwerin, 1870 in Heusinger [3])

Die K.W.St.E. hat rund 20 Jahre lang diese achträdrigen Güterwagen beschafft. In diese Zeit fiel auch die Umstellung von der "amerikanischen" Steifkupplung auf das "englische Puffer-/Kupplungssystem. Dass sich die konstruktiven Details dieser Wagen während dieser langen Beschaffungszeit verändert haben ist weniger verwunderlich als die Tatsache, dass das Grundkonzept der Drehgestelle bis auf die Vergrößerung des Achsstandes so gut wie unverändert geblieben ist.


Vierachsige Güterwagen der K.W.St.E. mit Seitenpuffern und Drehgestellen mit Flacheisentraversen, Quelle: [Mayer, 9, S. 196, 197; Bearb. G-D]



Beschreibung der Drehgestelle, Quelle: [Mayer, 9, S. 194, 195]

In Mayers Beschreibung (von 1924) der Drehgestelle erscheinen zwei Aspekte besonders bemerkenswert:
Die hier erwähnten Flacheisen zur Verbindung der Achsbüchsen finden sich in ähnlicher Form auch bei dem von Ghega beschriebenen Personenwagen der Baltimore and Ohio Railroad. Die Achsbüchsen sind somit nicht mehr fest mit den Federn verschraubt. Der Achsstand im Drehgestell ist fest und wird nicht mehr, wie bei den oben beschriebenen Ausführungen durch die Streckung der Federn bei Belastung verändert. Die Federn müssen also auf den Traversen bzw. den Achsbüchsen gleitend gelagert sein. Unbekannt ist, ab wann diese Flacheisen-Traversen bei den württembergischen Güterwagen-Drehgestelle verwendet wurden.
Zum zweiten zeigen beide Abbildungen Wagen mit Seitenpuffern, die ab 1860 bei württembergischen Wagen zum Einsatz kamen, es kann sich also nicht um Zeichnungen der (ersten) Wagen von 1846 und 1847 handeln. Außerdem ist der Hinweis auf die Unterschiedlichkeit der Güterwagen-Drehgestelle gegenüber denen der Personenwagen so zu verstehen, dass diese einerseits archaisch anmutende, andererseits aber komplett aus Eisenteilen bestehende und somit doch moderne Konstruktion bei allen achträdrigen württembergischen Güterwagen verwendet wurde.


Verwendung:
a) Amerikanischer Muster-Güterwagen [4, S. 85]
b) Achträdrige geschlossene Güterwagen, K.W.St.E. Litera F
c) Achträdrige offene Güterwagen, K.W.St.E. Litera G (Niederbordwagen) und GS (Niederbordwagen mit Rungen) 
[Mühl/Seidel, 6, S. 179 f.]


Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass ähnliche Konstruktionen, teils mit Innenlagerung, als Vorlauf-Drehgestell bei amerikanischen Lokomotiven mit der Achsfolge 2' A und 2' B  und als Tender-Drehgestelle verwendet wurden. Auch die drei, von W. Norris, Philadelphia, für Württemberg gebauten Lokomotiven hatten solche Vorlauf-Drehgestelle mit Innenlagerung. [Mayer, 9, S. 37]


Historie:
1830               Bei der Baltimore and Ohio Railroad ("B & O") werden jeweils zwei einfache, zweiachsige Flachwagen zum Transport langen Brückenbalken verwendet.
                        Zum Transport von Brenn- und Scheitholz, Heu, leeren Fässern und ähnlichem  erhalten diese  "double trucks" flache und gerüstartige Aufbauten ("cord wood cars", "trussell cars").

1831              
Ross Winans (1796 - 1877) wird angestellter Mechaniker bei der B & O. 1834 erhält er ein - später umstrittenes - Patent auf die verbesserte Konstruktion achträdriger Eisenbahnwagen.

1835               Winans liefert - auf Empfehlung des sächsischen Konsuls in den USA - die zweiachsige Stehkessel-Lokomotive "Columbus" an die Leipzig - Dresdener Eisebahn Compagnie [11].

1836               Winans übernimmt zusammen mit einem Mitgesellschafter die Werkstatt der B & O in Mount Clare. 1841 eröffnet Winans ebenfalls in Mount Clare eine eigene Werkstatt.


Nachgereichte Zeichnung (Ausschnitt) des Winans' "Patentwagens", vermutlich aus dem Jahr 1839 - mit konventionellen Kastendrehgestellen.
Bildlegende: "References to the annexed Drawings of Ross Winan's Improvement in the Construction of Cars or Carriages intended to run on Rail Roads, for which
Letters Patent were issued dated Oct.
r 1st 1834. Fig. 1: Side View of an Eight-wheel Car, Fig. 2: End View of the same, Fig. 3: Upper and lower bolster detached
from the body and bearing Carriages. A. A. Represents the body of Car resting on bearing Cariages B. & C. exhibited at D. D. on pivots equidistant from the
Wheel of each bearing Carriage. H represents an upper Bolster of Cast Iron, separated from the Body of the Car with its pivot coprrsponding with the socket Y
in the lower bolster F, also shown as separated from the bearing Carriage." Quelle [5]


1838/39        Franz Anton v. Gerstner und Ludwig v. Klein kommen auf ihrer Studienreise durch Nordamerika in Kontakt mit Ross Winans.

1844              Ludwig v. Klein wird Mitglied der württembergischen Eisenbahnkommission. Mit Karl v. Etzel gibt er ab 1843 die "Eisenbahn-Zeitung" heraus. Im 3. Jahrgang stellt er in den Nummern 37 und 39
                       (14. und 28. September 1845) die achträdrigen amerikanischen Wagen vor, im 4. Jahrgang erscheinen dann in Nummern 38 (20. September 1846) sein Bericht über die württembergischen
                       achträdrigen Transportwagen. Auf Grundlage seiner Erfahrungen und seines Gutachtens vom 4. Juni 1844 wird in Nordamerika bei Eaton, Gilbert & Cie ein achträdriger Personenwagen 2. Klasse
                       und (über Emil Keßler, Karlsruhe) bei Betts, Pusey & Harlan ein achträdriger geschlossener Güterwagen bestellt. [9, S. 177, S. 194]



Nordamerikanischer Gütertransportwagen - mit rahmenlosen Drehgestellen. Während die Verwandtschaft des Wagenkastens mit dem Winans' Wagen
unverkennbar ist, ist die Herkunft der Drehgestelle nicht eindeutig geklärt. Quelle [1.1]

1845              Klein beantragt, dass die Herstellung von 62 Wagen, die für den Bahnbetrieb zwischen Esslingen, Stuttgart und Ludwigsburg erforderlich sind, unter Aufsicht der Kgl. Eisenbahnkommission stattfinde. [6]
                       Am 25. April bestellt die Kommission unter anderem 2 vierachsige offene Güterwagen bei der Firma Winkens & Co, Halle/Saale [9, S. 178, berichtigt in: 6, S. 171]. Als Subunternehmer vor Ort fungierten
                       die Stuttgarter Kutschen- und Wagenbauer Starker und Münch [10, S. 136]. Als "Richtschnur" werden Winkens & Co. "Detailzeichnungen, offenbar nach den amerikanischen Musterwagen hergestellt,
                       geliefert" vgl. [9, S. 178]. 
                       Am 22. Oktober wird der Betrieb auf der Strecke Cannstatt - Untertürkheim aufgenommen.


1846              Am 23. März wird die Aktiengesellschaft "Maschinenfabrik Esslingen" gegründet. [8, S. 221]
                       Mit Datum vom 29. Juli wird die unter anderem Beschaffung von insgesamt 5 (3 geschlossene, 2 offene) achträdrigen Güterwagen zur Lieferung zwischen Mai und August 1847 ausgeschrieben. [1, S. 60]

1850              Mit Datum vom 3. Januar wird die unter anderem Beschaffung von insgesamt 28 achträdrigen Güterwagen (davon 25 geschlossene und 3 offene) zur Lieferung im Frühjahr 1851 ausgeschrieben [1, S. 61]

1853              Laut VDEV Statistiken [7] verfügt die K.W.St.E. über 392 Güterwagen, davon 80 bedeckte und 41 offene (insgesamt 221) achträdrige Güterwagen, dies entspricht einem Anteil von rund 56 %.

1860              Die K.W.St.E. beginnen mit der Umstellung auf das "englische" Kupplungssystem mit Schraubenkupplung und Seitenpuffern. [6, S. 171]

1865              Die Anzahl der achträdrigen Güterwagen beträgt lt. VDEV nun 481, davon 355 bedeckte und 126 offene. Bei insgesamt 1695 Güterwagen betrug der Anteil der achträdrigen jedoch nur noch rund 28 Prozent.

1873              Die Anzahl der achträdrigen Güterwagen ist lt. VDEV auf 342 (von insgesamt 3706 Güterwagen) zurückgegangen.



Quellen:
[1] Klein, Ludwig: Die württembergische Centralbahn von 1845. Band 4. Die Personen- und Transportwagen amerikanischen Systems. (= Nachdruck von Beiträgen Kleins in der Eisenbahn-Zeitung. 62 Seiten mit 12 Tafeln), Heidenheim (Verlag Uwe Siedentop), 1987
[1.1] dito, Tafel 1
[2] Etzel, Karl; Klein, Ludwig (Hrsg.): Eisenbahn-Zeitung (Stuttgart, ab 1843) - Bände ab drittem Jahrgang (1845, ohne Tafeln und Zeichnungen) *
Klein, Ludwig: Über amerikanische achträdrige Eisenbahnwagen. Teil 1 (= Eisenbahn-Zeitung, III. Jahr, No. 37, 14. Sept. 1845; S. 311) *
[2.1] Klein, Ludwig: Über amerikanische achträdrige Eisenbahnwagen. Teil 2 (= Eisenbahn-Zeitung, III. Jahr, No. 39, 28. Sept. 1845; S. 327) *
[2.2] Klein, Ludwig: Achträdrige Transportwagen. (= Eisenbahn-Zeitung, IV. Jahr, No. 38, 20. Sept. 1846; S. 329) *
[3] Heusinger von Waldegg, Edmund: Handbuch für specielle Eisenbahn-Technik / 2: Bd. 2, Der Eisenbahn-Wagenbau in seinem ganzen Umfange. (Textband). Leipzig, 1870 *
[3 a] Heusinger von Waldegg, Edmund: Atlas zu dem Handbuch für specielle Eisenbahn-Technik. Zweiter Band. Der Eisenbahnwagenbau. XLVII Tafeln. Leipzig 1870 *

[4] Reden, Friedrich Wilhelm von: Die Eisenbahnen Deutschlands: statistisch-geschichtliche Darstellung ihrer Entstehung, ihres Verhältnisses zu der Staatsgewalt sowie ihrer Verwaltungs- und Betriebs-Einrichtungen / 2,3,[1] = 3. Suppl.: Die württembergischen, die badischen und die königl. und herzogl. sächsischen Eisenbahnen ; 1. Forts. Berlin 1846 *
[5] White, John H. jr.: The American Railroad Freight Car. From the Wood Car Era to the Comming of Steel. John Hopkins University Press. Baltimore 1993, S. 167
[5 a] White, John H. jr.: The American Railroad Passenger Car. Part 1. John Hopkins University Press. Baltimore 1985
[6] Mühl, Albert; Seidel, Kurt: Die Württembergischen Staatseisenbahnen. Stuttgart, 1980
[7] Verein Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen: Deutsche Eisenbahn-Statistik für das Betriebsjahr (1852, 1853, 1855, 1860, 1865, 1870, 1873), Berlin *

[8] Mayer, Max:
Emil Keßler, ein Begründer des deutschen Lokomotivbaues. (in: Matschoss, Conrad, Hrsg.: Beiträge zur Geschichte der Technik und Industrie. Jahrbuch des Vereins Deutscher Ingenieure, Bd. 14, Berlin 1924,
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/CBUWQBD7VRCALG7UN4UM5OWVXLNMOKDM)
[9] Mayer, Max: Lokomotiven, Wagen und Bergbahnen. Geschichtliche Entwicklung in der Maschinenfabrik Eßlingen seit dem Jahre 1846. Berlin, 1924 (online: http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/36-A-99)
[10] Röder, Rudolf: Carl von Etzel und Ludwig Klein. Württembergs Eisenbahnpioniere und ihr Wirken in aller Welt. Heidenheim 2016

[11] Wikipedia Eintrag zum Stichwort "LDE – Columbus" (https://de.wikipedia.org/wiki/LDE_-_Columbus, abgerufen am 21. Dezember 2016)

*) auch online verfügbar: BSB München, https://opacplus.bsb-muenchen.de/metaopac


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