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Die hier als Gattung "Niesky" bezeichneten Drehgestelle entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in der Deutschen Demokratischen Republik und wurden im Bereich der OPW-Verwaltungen (OPW = Gegenstück zum westeuropäischen EUROP-Pool), vor allem bei der Deutschen Reichsbahn (Ost) eingesetzt.
Das Niesky-Drehgestell basiert auf der sogenannten "Einheitsbauart" (Pressblech-Drehgestell, BA "925 2,0 m") und weist im wesentlichen dessen Merkmale auf: Pressblech-Seitenwangen, Aufhängung der Federn mittels Laschen, Achsabstand 2,0 m, 7 Blattfedern mit eingezogenen Federenden. Optisch sind die Niesky-Drehgestelle jedoch kaum mit den Drehgestellen der Einheitsbauart zu verwechseln: Die Ober- und Untergurte der Seitenwangenbleche verlaufen gerade und sind nach außen (Einheitsbauart: nach innen) gekantet. Die Ausschnitte in den Seitenwangenblechen sind eingedrückt, außerdem ergibt sich durch die Form der Seitenwangenbleche eine andere, kräftiger wirkende Form der äußeren Federböcke. Die inneren Federböcke sind durch kantig auf die Seitenwangenbleche aufgeschweißte Blechstreifen verstärkt.
Zur Entwicklung der Güterwagen-Drehgestelle bei der Deutschen Reichsbahn (Ost) liegen mir mittlerweile verschiedene Verzeichnisse und Auflistungen vor. Teilweise sind darin nicht nur ältere deutschen Drehgestelle aufgeführt, sondern auch Drehgestelle ausländischer Wagen, die nach dem Krieg im Bereich der DR verblieben sind.
In Zusammenhang mit der Entwicklung
der Niesky-Drehgestelle ergibt sich daraus folgendes Bild:
Bis 1954 wurde in der DDR
das Pressblech-Drehgestell der Einheitsbauart (2,0 m Achsstand, 1000 mm
Laufkreis-Durchmesser, 1956 mm Achsschenkel-Mittenabstand, Gleitachslager,
Obergurt mit "Höckern") nachgebaut.
Ab 1951 (nach anderen Quellen ab 1954) wurde das aus diesem Drehgestell abgeleitete Niesky-Drehgestell zunächst noch mit Gleitachslagern und 1956 mm Achsschenkel-Mittenabstand gebaut (Dok.Nr. 0969, später umgerüstet, beziehungswiese umgebaut/"verstärkt"). Weshalb es zu dieser Weiterentwicklung kam und warum seinerzeit kein an das damalige UIC-Standdard-Drehgestell (Minden-Dorstfeld) angelehntes Drehgestell mit Langschaken (statt Laschen) entwickelt wurde, geht aus diesen Verzeichnissen nicht hervor.
1956 wurde das Niesky-Drehgestell mit Rollenachslagern und 2000 mm Achsschenkel-Mittenabstand gebaut. Bereits bei diesen Drehgestellen (Dok.Nr. 0965) waren die stirnseitigen Kopfquerträger für den Einbau einer Mittelpufferkupplung (in das Wagenuntergestell) nach unten gekröpft, eine Variante dieses Drehgestells war mit verstärktem Bremsgestänge und Doppelbremsklötzen ausgerüstet.
Zwischen 1957 und 1959 hat der "Vereinigte Schienenfahrzeugbau in der DDR" eine Reihe von modernen vierachsigen Universal- ("Mehrzweck-")Güterwagen entwickelt. Indiesem Zusammenhang entstanden als Baumuster auch die Drehgestelle Dor. Nr. 0955 und 0967.
1958 wurde das Niesky-Drehgestell für den Einsatz von Spurwechsel-Radsätzen (1435/1524 mm, Umstellvorrichtung für Bremsklötze, Dok.Nr. 0963) abgewandelt. Ein Teil der Drehgestelle mit der Dok.Nr. 0963 wurden ohne Spurwechsel-Radsätze geliefert.
Ab 1960 wurde diese Variante wurde mit Doppel-Bremsklötzen ausgerüstet und unter der Dok.Nr. 0962 geführt. Mit dieser Bauform war die Entwicklung des Niesky-Drehgestells im wesentlichen abgeschlossen, es kann als die Standard-Version des Niesky-Drehgestells betrachtet werden.
Das Drehgestell der Dok. Nr. 0962 wurde in bis in die Siebzigerjahre auch von ausländischen Herstellern (wohl in erster Linie für Wagenlieferungen in die DDR) nachgebaut, wobei diese Nachbauten in der Regel eigene Dok.Nr. erhielten. Offensichtlich unterscheidet sich jedoch mindestens ein Teil der Nachbau-Serien ausländischer Hersteller durch Einfach-Bremsklötze und/oder Schwerpunktaufhängung von den Drehgestelle nach Dok.Nr. 0962.
Durch Umbauten der Niesky-Drehgestelle (beispielsweise Aufhängung der Bremsklotzschuhe im Schwerpunkt, Drehpfannen-Einlage) wurden etwa ab Beginn der Siebzigerjahre weitere Dok.Nr. vergeben.
Ansätze zu einer technologischen Weiterentwicklung des Niesky-Drehgestells hat es in den Sechzigerjahren zwar gegeben (1963: Dok.Nr. 0966, mit Wiegeventil; 1964: Dok.Nr. 0960, mit Plastbremssohlen), doch blieben diese auf Baumuster oder zeitlich und auf wenige Wagenbauarten beschränkt.
Die Drehgestelle der Bauart Niesky waren nach Versuchen der DR für 100 km/h Höchstgeschwindigkeit zugelassen, wiesen jedoch bedingt durch das geringe Querspiel der Radsätze, die Laschenaufhängung und fest seitliche Gleitstücke bei höheren Geschwindigkeiten einen unruhigen Lauf auf. Nachdem es in den 1990er Jahren zu mehreren Unfällen gekommen war, wurde vorübergehend die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h herabgesetzt. Da dies für betriebliche Behinderungen sorgte, wurden ab Mitte 1999 bis 2000 die ursprünglich in den Niesky-Drehgestellen verwendeten Radsätze mit Laufflächenprofil E durch Radsätze mit Profil A ersetzt. Die umgerüsteten Wagen erhielten neue Bauartnummern (Ausnahme: Ealos 053). Nach Abschluss der Umrüstaktion wurde die Höchstgeschwindigkeit wieder auf 100 km/h angehoben.
Ferner wurde bereits Ende der Fünfzigerjahre vom VEB Waggonbau Niesky eine Weiterentwicklung analog dem Minden Dorstfeld-Drehgestells mit langen Rechteckschaken und Schakensteinen (Dok.Nr. 0967) vorgestellt, aber nur als Baumuster gefertigt.Der technologisch nächste
Entwicklungsschritt - zum AK-fähigen Güterwagen-Drehgestell mit
1,8 m Achsabstand - wurde von den OPW-Verwaltungen nicht mit einer Eigenentwicklung
sondern mit der Übernahme des französischen Y 25-Drehgestells
vollzogen. Sieht man von den DR-Kühlwagen-Drehgestellen ab, sind für
den Bereich der Deutschen Reichsbahn (Ost) außer den älteren
Drehgestell-Bauarten nur das Niesky- und das Y 25-Drehgestell von Belang.
Quellen:
Deinert, Werner: Eisenbahnwagen.
Berlin, 1985, 5. Auflage
Deutsche Reichsbahn, RAW
"8. Mai" Eberswalde: Aufstellung der im RAW "8. Mai" Eberswalde beheimateten
Drehgestelle (ohne Ort, ohne Jahrgang)
Deutsche Reichsbahn, VES-W
Delitzsch, Fachgruppe S: Zusammenstellung der Wagen und Drehgestellgattungsnummern,
DS 999 19, 8. Ausgabe, gültig vom 1. 1. 1970
Perner, Dr. Detlef: Umrüstung
der Niesky-Drehgestelle auf das Radsatzprofil A - warum? (in: Güterwagen-Correspondenz
72/73, S. 52 - 54)
VEB Waggonbau Niesky: Zuarbeit
zur DV 939 d - Merkbuch für Fahrzeuge (Wagen). Schreiben vom 16. 9
1970 an die Deutsche Reichsbahn, Versuchs- und Entwicklungsstelle für
die Wagenwirtschaft, Fachgruppe Standardisierung, Delitzsch
Wolff, Gerd: EK-Güterwagen-Lexikon
DB: Ergänzungsbroschüre zu den Bänden 1 - 7. Aktualisierung
und Fortschreibung der EK-Güterwagenhefte einschließlich der
DR-Wagen des gemeinsamen DB-Wagenparks. Freiburg 2002, S. 28 f.
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